Was hat der tiefste Punkt Österreichs im burgenländischen Seewinkel mit dem höchsten Gipfel des Landes, dem Großglockner, gemeinsam? Beide sind Teil von Nationalparks, hinter denen mehr steckt als bloß schöne Landschaft.

Text: Rainer Brunnauer-Lehner

 

Die insgesamt sechs heimischen Nationalparks repräsentieren die geballte Vielfalt Österreichs: Von der Steppe der Pannonischen Tiefebene über die Feuchtgebiete der Donau-Auen bis ins Hochgebirge der Ostalpen. Doch ein Nationalpark ist weit mehr als ein landschaftlich markantes Gebiet oder eine regionale Marke. Genau genommen kann ein Staat zwar nach Belieben Schutzgebiete ausweisen, ob sie aber international als Nationalpark anerkannt werden, darüber wacht die IUCN. Die International Union for Conservation of Nature and Natural Resources teilt Schutzgebiete auf der ganzen Welt nach den Zielen ein, die damit verfolgt werden, und danach, wie stark der Mensch in die ausgewiesenen Flächen eingreift.

Die Organisation unterscheidet dabei zwischen sechs Kategorien. Die strengste davon (Kategorie I) wird auch als Wildnisgebiet bezeichnet. Diese Gebiete dienen hauptsächlich dem Schutz und der Forschung, werden sonst aber weitgehend sich selbst überlassen und vor jeglichem Eingriff bewahrt. Schutzgebiete der Kategorie II dienen zusätzlich Erholungszwecken und werden Besucherinnen und Besuchern zugänglich gemacht. Sie entsprechen dem, was allgemein als Nationalpark verstanden wird.

„Strenge Schutzgebiete sind das Einzige, was rasch gegen das Artensterben hilft.“

Thomas Wrbka, Universität Wien

Wann der Mensch eingreift

Die Nationalparks Thayatal, Donau-Auen, Neusiedler See – Seewinkel, Gesäuse, Kalkalpen und Hohe Tauern erfüllen alle strengen Auflagen der IUCN: „Hier wird vom Menschen nur eingegriffen, wenn dies dem Erhalt von Lebensraum und dem Schutz von Ökosystemen dient“, sagt Christian Übl, Obmann des Dachverbands Nationalparks Austria. „Eine Almwiese ist beispielsweise keine unberührte Natur. Der Mensch hat sie geschaffen und pflegt er sie nicht, wächst sie zu und verschwindet. Trotzdem gibt es Tiere und Pflanzen, die nur in dieser sanften Kulturlandschaft leben und im Rahmen des Nationalparks schützenswert sind“, erklärt Übl. Er ist auch Direktor des Nationalparks Thayatal, wo zu den Maßnahmen der Nationalparkverwaltung unter anderem das Entfernen von eingeschleppten Pflanzen (Neophyten) zählt, die heimische Arten sonst verdrängen würden. „Außerdem versuchen wir, Einflüsse von außen auf die Nationalparks zu managen“, sagt Übl. Dazu gehören etwa schwankende Wasserstände durch Wasserkraftwerke oder unerwünschter Nährstoffeintrag durch Düngung auf benachbarten Flächen.

Zu den Aufgaben der Nationalparks zählt unter anderem die Wissensvermittlung. Rangerinnen und Ranger begleiten und unterstützen beim Entdecken der Schutzgebiete. Fotos: Nationalparks Austria/Stefan Leitner

Lebensraum im Föderalismus

Während in vielen Staaten die Bewahrung der Natur als nationale Aufgabe gesehen wird, sind in Österreich die Bundesländer für den Naturschutz verantwortlich. Aufgrund der Bedeutung der Nationalparks arbeiten Bund und Länder aber zusammen und teilen sich die Kosten für Errichtung und Betrieb. Symbolisch für die Zusammenarbeit steht die Vereinbarung von Heiligenblut im Jahr 1971, in der die Landeshauptleute von Kärnten, Salzburg und Tirol die Errichtung eines großen Schutzgebietes festschrieben. Zehn Jahre später machte Kärnten mit seinem Teil des Nationalparks Hohe Tauern den Anfang und schränkte die Erschließung alpiner Flächen für den Skibetrieb sowie die Energiewirtschaft im betroffenen Gebiet ein.

Die Nationalparks sind als Unternehmen, Verein oder Körperschaft öffentlichen Rechts organisiert, ihre Rahmenbedingungen und Bewirtschaftung sind jedoch alle in entsprechenden Landesgesetzen festgelegt. Neben Schutzmaßnahmen und dem Interessenausgleich zwischen Naturschutz, Grundeigentümern, Wirtschaft und öffentlicher Hand gehören die Erhaltung von Erholungsräumen sowie Wissensvermittlung und Forschung zu ihren Aufgaben.

Denn die Schutzgebiete spielen nicht nur für die Erforschung bedrohter Tier- und Pflanzenarten eine wichtige Rolle. Sie sind selbst ein spannender Forschungsgegenstand: Wie wirkt sich zum Beispiel ein Schutzgebiet auf die Biodiversität außerhalb seiner Grenzen aus? Welche Bedeutung Schutzgebiete haben und welchen Beitrag sie zum Kampf gegen das Artensterben leisten, stand im Fokus eines internationalen Forschungssymposiums im September 2022 unter dem Motto „Der Biodiversitätskrise begegnen“.

Veranstalter dieser Konferenz waren die Nationalparks Austria: „Strenge Schutzgebiete sind das Einzige, was rasch gegen das Artensterben hilft. Insofern haben wir die Hoffnung, mit dem Forschungssymposium ein Stück weit auch die Bedeutung von Nationalparks und vergleichbaren Flächen stärker ins öffentliche Bewusstsein zu bringen“, sagt Thomas Wrbka von der Universität Wien, der die Konferenz organisierte.

Chancen und Krisen

Neben aktuellen Herausforderungen für die Artenvielfalt wie dem Klimawandel, intensiver Landwirtschaft, der Zersiedelung und dem demografischen Wandel, die Ökosysteme zunehmend belasten, gibt es auch positive Entwicklungen. Mit dem European Green Deal will die Europäische Kommission dem Artensterben und der Klimakatastrophe entgegenwirken. Demnach sollen künftig mehr Flächen nicht mehr intensiv genutzt werden. „Wie Trittsteine durch einen Fluss soll dadurch ein grüner Korridor die Lebensräume von Schutzgebieten wie Nationalparks quer über den Kontinent verbinden“, sagt Christian Übl.

Ein Punkt im Green Deal betrifft die Ausweitung von Schutzgebieten: Bis 2030 sollen zehn Prozent der gesamten Fläche Europas durch ebenso strenge Auflagen wie Nationalparks geschützt werden. In Österreich sind es aktuell gerade einmal drei Prozent. Darüber hinaus verspricht die EU-Kommission zusätzliche Mittel für Renaturierungsmaßnahmen und den Erhalt von Lebensraum.

Dies könnte der in Österreich vergleichsweise jungen Idee der Nationalparks zusätzlichen Schwung verleihen. Denn während die Hohen Tauern mit 42 Jahren das älteste Schutzgebiet der Republik sind, reicht die Geburtsstunde des Konzepts viel weiter zurück: Der weltweit erste Nationalpark (Yellowstone National Park) wurde vom US-Kongress bereits 1872 ausgewiesen.

Informationen.

Wer mehr über die einzelnen Nationalparks wissen will oder einen Ausflug dorthin planen möchte, findet Informationen und das Angebot von Rangerinnen und Rangern auf der Website des Dachverbands Nationalparks Austria.

www.nationalparksaustria.at
Der erfahrene Diplomat Thomas Oberreiter leitet seit November 2021 die Sektion III – Europa & Wirtschaft im Außenministerium, die sich als Vernetzungszentrale für EU-Themen versteht. Im Interview erzählt der Sektionschef, warum er als 27-Jähriger im Verhandlungsteam für den österreichischen EU-Beitritt dabei war, was Europa und Wirtschaft miteinander verbindet und welchen Stellenwert „ein gutes Maß an Neugierde“ in der Diplomatie genießt.

Text: Cornelia Ritzer

 

Herr Botschafter, was sind für Sie die stärksten Anknüpfungspunkte zwischen den Bereichen Europa und Wirtschaft?

Das eine ist ohne das andere nicht denkbar, heute noch weniger als früher. Wir in der Sektion III des Außenministeriums sind zuständig für Österreichs bilaterale Beziehungen zu den anderen EU- und EFTA-Staaten. Und für eine offene, exportorientierte Nation wie Österreich ist die Wirtschaftsdimension wesentlich. Wobei Wirtschaft im weitesten Sinn zu verstehen ist: Wir haben Expertise zum Beispiel für Handelspolitik sowie für Energie-, Klima- und Verkehrspolitik.

Auch leben wir in einer zunehmend digitalen Welt, und unsere Sektion hat es sich zur Aufgabe gemacht, diese Tatsache stärker in die Diplomatie hereinzuholen. Tech Diplomacy und das Aufspüren neuer Trends ist ein großer Zukunftsbereich. Deshalb haben wir gemeinsam mit der Wirtschaftskammer ein Outlet, eine diplomatische Präsenz Österreichs, im Silicon Valley gegründet: Mit „Open Austria“, einem Gemeinschaftsprojekt der Außenwirtschaft Austria und dem Außenministerium, sind wir einer der ersten EU-Mitgliedstaaten, die so etwas geschaffen haben. Auch da ist der Konnex zwischen Wirtschaft und bilateralen Beziehungen zu anderen Staaten evident.

Wie gestaltet sich die ressortübergreifende Zusammenarbeit mit den Expertinnen und Experten anderer Ministerien?

Verschiedene Ressorts zu koordinieren, ist immer eine komplexe Aufgabe. Gleichzeitig ist allen Personen, die sich mit der EU befassen, bewusst, dass Österreich nur durch eine klare und einheitliche Position einen Impact erzielen kann. Dieses Denken macht es leichter, gemeinsame Positionen zu finden. Viele meiner Kolleginnen und Kollegen sind sehr erfahren in Verhandlungen, und das prägt. Das macht das Arbeiten hier – in einer großen Sektion mit vielen unterschiedlichen Persönlichkeiten – zu einer großen Freude.

Die Sektion III hat gute Erfahrungen mit anderen Ressorts und wir bemühen uns auch, Dienstleistungsanbieter bei Vernetzungsthemen zu sein. In den vergangenen Monaten haben wir etwa die Serie „Policy Briefings“ gestartet, in der Expertinnen und Experten verschiedener Ressorts für interessierte Botschaften Vorträge halten und für Diskussionen zur Verfügung stehen. Das Angebot wird gut angenommen.

„Allen Personen, die sich mit der EU befassen, ist bewusst, dass Österreich nur durch eine klare und einheitliche Position einen Impact erzielen kann.“

Vor Ihrer Funktion als Sektionsleiter waren Sie in verschiedenen diplomatischen Funktionen tätig. Welche Fähigkeiten und Ausbildungen sind für eine solche Karriere notwendig?

Ich habe sowohl fürs Außenministerium als auch fürs Bundeskanzleramt gearbeitet, auf Posten in Lateinamerika und Europa. Zwei Kontinente, zwei Arbeitgeber, manchmal mit extrem kurzen Vorlaufszeiten. Viele meiner Posten waren nicht planbar, wie etwa jener für die österreichische Übergangsregierung 2019/2020: Ich hatte eine Woche Zeit, um von Brüssel nach Wien zu übersiedeln. Wichtig in diesem Job ist also Flexibilität. Man muss bereit sein, schnell seine Zelte abzubrechen und woanders wieder aufzuschlagen. Es gibt für Diplomatinnen und Diplomaten keinen Versetzungsschutz, das ist natürlich eine Herausforderung für die Familien.

Eine wichtige Voraussetzung ist auch eine breite Vorbildung inklusive Sprachkenntnissen. Die Diplomatische Akademie in Wien ist eine gute Ausbildungsstätte, die das Basiswissen mitgibt. Und das vielleicht Wichtigste ist ein gutes Maß an Neugierde. Wir rotieren normalerweise alle vier Jahre auf einen neuen Posten, man ist selten Expertin oder Experte, sondern muss bereit sein, etwas Neues zu lernen. Was liegt hinter der nächsten Grenze, hinter der nächsten Verhandlungsposition meines Gegenübers – daran muss man interessiert sein.

Sie haben den fehlenden Versetzungsschutz angesprochen. Gibt es ein Vetorecht in Bezug auf Positionen, die man nicht will?

Wenn man eine Leitungsposition anstrebt, kann man mit einer Bewerbung etwas lenken. Aber meine erste Verwendung in Mexiko beispielsweise war weder angestrebt noch geplant. Doch es hat mir dann wahnsinnig gut gefallen und ich war traurig, dass es nach einem halben Jahr wieder zu Ende war.

Im Alter von 27 Jahren waren Sie Mitglied der Verhandlungsteams für den österreichischen EU-Beitritt. Heute würde man sich über junge Expertinnen und Experten nicht mehr wundern – war es damals etwas Außergewöhnliches?

Ich kam 1992 ins Außenministerium, 1993 haben die Beitrittsverhandlungen begonnen und man war auf der Suche nach jungen Kolleginnen und Kollegen, die bereit sind, viel Herzblut zu investieren. Es war ein schöner Zufall, dass ich die Chance bekommen habe. Jede Organisation, gerade ein Ministerium und die Diplomatie, lebt vom Engagement der Jungen und von neuen Ideen, von der Dynamik eines Teams. Das war früher nicht anders als heute. Damals waren die Zeiten hierarchischer, aber gute Chefinnen und Chefs sehen, dass man Junge fördern muss. Das ist mir bis heute ein Vorbild geblieben.

Thomas Oberreiter gilt als ausgewiesener EU-Experte. Zum Berufsbild des Diplomaten gehört Flexibilität – denn oft sind rasche Wohnortwechsel notwendig. Fotos: Franziska Liehl

Sie waren dienstlich viel in Brüssel und gelten als ausgewiesener EU-Experte. Inwiefern hat diese frühe berufliche Erfahrung bei den EU-Beitrittsverhandlungen Ihre Haltung zur EU geprägt?

Es verwundert mich manchmal heute noch, wie sehr sie mich geprägt hat. In gewisser Regelmäßigkeit kommt in der öffentlichen Debatte „Brüssel“ oder „die EU“ vor, damit ist fast immer etwas Österreich Entgegengesetztes gemeint. Das tut mir nach wie vor weh. Denn für mich ist die EU nie etwas Fremdes, sondern etwas, das man mitgestaltet und mitverantwortet.

Beobachten Sie einen Wandel in der Einstellung der österreichischen Bevölkerung zur EU?

Nach Abschluss der Beitrittsverhandlungen 1994 wurde ich nach Mexiko versetzt und habe auf der anderen Seite des Atlantiks gespannt auf das Ergebnis der Volksabstimmung gewartet. Die Zweidrittelmehrheit für den EU-Beitritt hat mich sehr gefreut. Sieht man sich die Umfragen der vergangenen 25 Jahre an, gibt es nach wie vor eine kleine EU-ablehnende oder -kritische Minder-heit – und eine sehr solide Mehrheit, die weiß, was sie an der Europäischen Union hat. Nur hört man von dieser wenig.

Größere Sorgen hat mir gemacht, dass die EU mit der Zeit als Selbstläufer betrachtet wurde, dessen Vorteile man gerne annimmt, aber nicht wirklich schätzt. Die Krisen der letzten Jahre haben das vorerst erledigt: Wie wertvoll offene Grenzen sind, hat uns schon Corona gezeigt. Wie wertvoll das Friedensprojekt Europa ist – und wie wenig selbstverständlich –, hat uns der russische Angriff auf die Ukraine deutlich vor Augen geführt. Und vergessen wir nicht: Die ukrainische Stadt Uschgorod liegt näher an Wien als Bregenz, der Krieg ist in unsere Nachbarschaft zurückgekehrt. Inzwischen ist also eindrucksvoll bewiesen, warum wir die EU brauchen. Egal wie groß ein Land ist, keines stemmt die Herausforderungen der heutigen Zeit allein.

Hat sich aus Ihrer Sicht die Kommunikation über die Vorteile der EU verbessert, oder braucht es noch mehr Maßnahmen?

Es gibt das Projekt der Europa-Gemeinderätinnen und Europa-Gemeinderäte in allen Bundesländern, von großen Städten bis zu kleinen Gemeinden, wo Personen dafür zuständig sind, Europa zu erklären. Das Projekt wurde im Außenministerium entwickelt und ist heute im Bundeskanzleramt angesiedelt. Dass wir direkt bei den Menschen sind, ist ein österreichisches Spezifikum. Es gibt also keine Notwendigkeit, jemandem auf den Leim zu gehen, der einen „Sündenbock Brüssel“ konstruieren will. Ein kurzes Gespräch oder zwei Klicks auf einer vernünftigen Website machen dagegen immun.

Eine große Herausforderung ist der Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine. Die EU zeigt sich solidarisch mit der Ukraine, seit Ende Juni ist das Land EU-Beitrittskandidat. Was ist der Standpunkt Österreichs dazu?

Wir unterstützen den Beschluss, der Ukraine den Kandidatenstatus zu geben. Wir begrüßen auch das klare europäische Bekenntnis der Ukraine, und solange es notwendig ist, werden wir das Land solidarisch unterstützen. Auf der anderen Seite muss klar sein, dass die Verleihung des Kandidatenstatus der erste Schritt auf einem sehr langen Weg ist. Wie man EU-Mitglied wird, ist im EU-Vertrag festgelegt. Es gibt genaue Regeln und Bedingungen, aber keine Abkürzungen.

„Wie wertvoll das Friedensprojekt Europa ist – und wie wenig selbst-verständlich –, hat uns der russische Angriff auf die Ukraine deutlich vor Augen geführt.“

Österreich ist ein starker Unterstützer der EU-Erweiterung auf dem Westbalkan. Was würde ein beschleunigter EU-Beitritt der Ukraine für die Westbalkan-Staaten bedeuten?

Die Unterstützung der Ukraine darf nicht dazu führen, dass es Beitrittskandidaten erster und zweiter Klasse gibt. Manche Staaten auf dem Westbalkan warten seit 15 Jahren auf den Kandidatenstatus, und das ist aus Sicht Österreichs kein tragbarer Zustand. Die Integration aller Westbalkan-Staaten bleibt eine außenpolitische Priorität Österreichs, gerade auch von Außenminister Alexander Schallenberg.

Die Staaten sind wirtschaftlich, kulturell, historisch und menschlich eng mit uns verbunden. Eine gute halbe Million Menschen, die in Österreich leben, haben ihre Wurzeln auf dem Westbalkan. Es ist im Interesse Österreichs und ein wesentlicher Faktor für die Stabilität und wirtschaftliche Entwicklung der gesamten Region, dass die Europa-Perspektive der Westbalkan-Staaten glaubhaft und greifbar bleibt. Daran arbeiten wir in der Sektion III.

Sie repräsentierten Österreich als Stellvertretender Ständiger Vertreter bei der EU, das Gremium befasst sich mit Vorschlägen aus den Bereichen Umwelt, Landwirtschaft und Energie. All diese Themen haben an Bedeutung gewonnen. Was sind die dringendsten Handlungsfelder?

Während der österreichischen EU-Ratspräsidentschaft 2018 habe ich als Vertreter der EU-Mitgliedstaaten an dutzenden Verhandlungstreffen mit dem Europäischen Parlament teilgenommen. Schon damals waren die wichtigsten Themen Energie und Klima sowie die Frage, wie Energiepolitik mit einer modernen Klimapolitik zusammenpasst. Genau diese Themen beschäftigen uns jetzt in einer viel größeren Schärfe: Wie stellen wir die Gas- und Ölversorgung sicher, und wie passt das mit unseren Klimazielen und der angestrebten CO2-Reduktion zusammen? Das ist eine Herausforderung, vor der die ganze EU steht.

In diesem Zusammenhang ist uns auch die traditionelle österreichische Anti-Atomkraft-Politik wichtig. Wir sind strikt dagegen, dass die Nuklearenergie eine Renaissance erlebt, aber in Teilen Europas gibt es solche Bestrebungen. Da muss man dagegenhalten und immer wieder neue Verbündete suchen.

Nachhaltigkeit, Konnektivität und Innovation sind Teil der Arbeit der Sektion III. Wie werden Österreich und Europa nachhaltiger, digitaler und moderner?

Ich habe bereits unsere diplomatische Präsenz im Silicon Valley, „Open Austria“, erwähnt. Im Bereich der Tech Diplomacy sehe ich eine der größten Herausforderungen, aber auch Chancen für das Außenministerium.

Generell wollen wir hinsichtlich Innovation und Wirtschaft ein noch stärkerer Partner für österreichische Unternehmen werden. Das vor einem Jahr gestartete Programm „ReFocus Austria“ unterstützt mit unserem welt-weiten Netz von Vertretungsbehörden gezielt die österreichische Wirtschaft. Ursprünglich, und wiederum gemeinsam mit der Wirtschaftskammer, war das Programm nur für ein Jahr geplant, doch dieser globale Outreach hat sich so sehr bewährt, dass wir nun eine Neuauflage starten.

3 Fragen, 3 Antworten

Welches Buch haben Sie zuletzt gelesen?
Passend zur eben beginnenden tschechischen EU-Ratspräsidentschaft: Die Václav-Havel-Biografie von Michael Žantovský, einem tschechischen Berufskollegen. Ich bin ein Vielleser mit einer großen Bibliothek, und das rächt sich immer, wenn eine Übersiedlung ansteht, denn nichts ist so schwer wie Papier.

Bei welcher Musik können Sie sich entspannen?
Ich oszilliere zwischen zwei einander ziemlich fremden Welten: Bach und Blues. Alles, was mit B beginnt.

Haben Sie ein berufliches Erfolgsrezept?
Nicht eines – es gibt viele. Jeder muss das für sich passende und richtige finden.

Bürgernah.

Derzeit sind über 1.500 Europa-Gemeinderätinnen und Europa- Gemeinderäte in allen Bundesländern aktiv und bringen Europa-Themen zu den Menschen. Das Modell wird künftig auch in anderen EU-Ländern umgesetzt.

www.bmeia.at
Der Finanzausgleich regelt die finanziellen Beziehungen zwischen Bund, Ländern und Gemeinden und wird regelmäßig – alle vier bis sechs Jahre – neu verhandelt. Expertinnen und Experten fordern Reformen und drängen darauf, bei den nächsten Verhandlungen die großen Themen Klima und Energie anzupacken.

Text: Cornelia Ritzer

 

2.059 Gemeinden gibt es in Österreich: Die kleinste, die Tiroler Ortschaft Gramais, zählt 41 Einwohnerinnen und Einwohner, Wien ist mit einer Bevölkerung von rund 1,9 Millionen Menschen Österreichs größte Stadt. Trotz dieser Unterschiede haben Gramais und Wien gemeinsam, dass es da wie dort Müllabfuhr, Wasserversorgung und Abwasserbeseitigung gibt und die Daseinsvorsorge gewährleistet ist. Zum funktionierenden Alltag in Österreich gehören auch Krankenhäuser, Kindergärten und Schulen, Friedhöfe, öffentlicher Verkehr sowie Freizeitangebote wie Hallenbäder oder Büchereien.

Hier kommt der Finanzausgleich ins Spiel. Dieser ist laut Definition des Finanzministeriums „die Regelung der finanziellen Beziehung zwischen den Gebietskörperschaften. Er wird zwischen den Finanzausgleichspartnern (Bund, Länder, Gemeinden) im Verhandlungsweg vereinbart und findet seinen Niederschlag in den auf einige Jahre befristeten Finanzausgleichsgesetzen.“

Sitzung wichtiger Menschen

Bei den Finanzausgleichsverhandlungen müssen die Interessen von vielen Playern aus Bund, Ländern und Gemeinden in Einklang gebracht werden.
Fotos: APA/Roland Schlager/picturedesk.com, APA/Herbert Neubauer/picturedesk.com

Die Aufteilung der öffentlichen Aufgaben sowie der staatlichen Einnahmen ist komplex. „Die Verteilung der Aufgaben und Ausgaben ist der sogenannte passive Finanzausgleich, die Verteilung der Einnahmen der aktive Finanzausgleich“, erklärt Ökonomin Margit Schratzenstaller vom Österreichischen Institut für Wirtschaftsforschung (WIFO).

Neben „dem großen Topf der Ertragsanteile, der Abgaben und der Transfers dazwischen gibt es noch andere Materien, die bestimmen, wie viel am Ende beim Bund, bei den Ländern und bei den Gemeinden bleibt“, sagt Karoline Mitterer, Koordinatorin für den Bereich Öffentliche Finanzen und Föderalismus beim KDZ – Zentrum für Verwaltungsforschung. Beispiele sind die ergänzenden 15a-Vereinbarungen zwischen Bund und Ländern etwa zur Finanzierung der Kinderbetreuung, der Tagesbetreuung an Pflichtschulen und des Gesundheitsbereichs. Diese Punkte werden mit dem Verhandlungsergebnis im sogenannten „Paktum zum Finanzausgleich“ festgehalten.

Befristung als Besonderheit

Ein österreichisches Spezifikum ist die zeitliche Befristung dieses finanzpolitischen Instruments. „Andere Länder machen fallweise Reformen“, sagt WIFO-Expertin Schratzenstaller mit Blick auf Deutschland. „Verändern sich die Rahmenbedingungen zu sehr, kommt eine Reform.“ In Österreich sind die wiederkehrenden Verhandlungen institutionalisiert. Für die Ökonomin ist die Befristung ein Vorteil, „da auf Veränderungen von sozioökonomischen Rahmenbedingungen ohne Diskussion reagiert werden kann“. Die Befristung erlaube Flexibilität und Planungssicherheit – „ein guter Kompromiss“, findet Schratzenstaller.

„Die Befristung des Finanzausgleichs ist ein Vorteil, da auf Veränderungen von sozioökonomischen Rahmenbedingungen ohne Diskussion reagiert werden kann.“

Margit Schratzenstaller, WIFO

Michael Getzner, Leiter des Forschungsbereichs Finanzwissenschaft und Infrastrukturpolitik an der Technischen Universität (TU) Wien, hält die Befristung „dem Prinzip nach für gut, weil auf den Staat laufend neue Herausforderungen und Aufgaben zukommen oder sich Schwerpunkte ändern und finanziert werden müssen“. Als Beispiel nennt er den Klimaschutz: „Die Gebietskörperschaften erfüllen hier unterschiedliche Aufgaben, das muss finanziert werden“, so der Professor.

Der aktuelle Finanzausgleich – ursprünglich für die Periode 2017 bis 2021 verhandelt – wurde bis 2023 verlängert, um die Corona-Krisenbewältigung zu ermöglichen. In die Verhandlungen sind alle gebietskörperschaftlichen Ebenen eingebunden: Der Bund ist durch das Finanzministerium vertreten, die Bundesländer von den Landeshauptleuten beziehungsweise Finanzreferentinnen und -referenten, außerdem sind der Städte- und der Gemeindebund mit dabei. Die Verhandlungspartner „haben unterschiedliche Interessen, die im Prozess zusammenkommen“, erläutert Karoline Mitterer vom KDZ: Die Länder würden gegenüber dem Bund relativ geschlossen auftreten, wobei es oft Achsenbildungen gebe. Auf Gemeindeebene verfolgten allerdings der Städtebund und der Gemeindebund unterschiedliche Interessen – Ersterer vertritt die Städte, Letzterer kleinere, häufig ländlich geprägte Gemeinden.

Verschiedene Interessen an einem Tisch

Im Vorfeld der Verhandlungen „werden die Claims abgesteckt und es wird darauf hingewiesen, welche zusätzlichen Aufgaben von welcher Gebietskörperschaft übernommen wurden“, sagt Margit Schratzenstaller vom WIFO. Auch Michael Getzner beobachtet: „Die Interessen werden auf den Tisch gelegt, manchmal offener, manchmal weniger offen.“ Vor allem die Länder und Gemeinden müssen deutlich auf ihre Aufgaben aufmerksam machen, da ihre Budgets zu einem großen Teil aus den gemeinschaftlichen Bundesabgaben sowie aus Transfers gespeist werden.

„Ich hoffe auf einen Fokus auf Klimaschutz und Biodiversität sowie die Senkung des Flächenverbrauchs. Denn das sind die großen inhaltlichen Themen.“

Michael Getzner, Technische Universität Wien

Über die Wichtigkeit des Finanzausgleichs herrscht Einigkeit. Gleichzeitig gibt es Rufe nach Reformen. „Unser Institut ist heuer 50 Jahre alt“, berichtet TU-Professor Getzner über die Studienrichtung Raumplanung und Raumordnung. „Eines der ersten Forschungsprojekte Anfang der 1970er Jahre war zum Thema Finanzausgleich und Föderalismus. Schon damals wurde festgestellt, dass dieses System zu reformieren ist.“ Aus seiner Sicht müssten vor allem Grundsteuern und Vermögenssteuern „signifikant reformiert beziehungs-weise eingeführt“ werden. 2017 schien es einen Anlauf zur Reform der Grundsteuer zu geben, „die Einrichtung einer Arbeitsgruppe hat uns gefreut“, so Getzner. Diese habe aber wegen Uneinigkeit frühzeitig ihre Treffen beendet. Auch sei der Finanzausgleich „Ausdruck der Verfassung eines föderalen Staatsaufbaus“. Die Folge seien „neun Bauordnungen und neun Naturschutzgesetze mit den Folgen Flächenfraß und unnötig viel Infrastruktur für Betriebsflächen, die lange leer stehen“. Getzners Schlussfolgerung: „Die Entscheidung, welche Fläche verbaut wird, ist auf der untersten Ebene nicht gut aufgehoben.“

„Längst fällig“ ist die Grundsteuerreform auch für KDZ-Expertin Karoline Mitterer. Es gebe bereits neue Ideen für eine administrativ einfachere Umsetzung, diese müsste nur angestoßen wer-den. Ein Schwachpunkt des derzeitigen Systems ist für sie der abgestufte Bevölkerungsschlüssel: „Jede Gemeinde unter 20.000 Einwohnerinnen und Einwohner bekommt – egal, welche Aufgaben sie erbringt – pro Kopf gleich viel.“ Das sei sachlich nur schwer argumentierbar, „weil es einen Unterschied macht, ob es sich um eine Gemeinde mit 500 oder mit 10.000 Einwohnerinnen und Einwohnern handelt. Es bestehen unterschiedliche Aufgabenniveaus.“

Auf die Gemeinden warten große Aufgaben in Sachen Klimaschutz – die finanziert werden müssen. Expertinnen und Experten hoffen, dass das in den Finanzausgleichsverhandlungen thematisiert wird.
Foto: Hans Ringhofer/picturedesk.com

Rufe nach mehr Transparenz

Außerdem gibt es laut Mitterer deutliche Transparenzmängel bei den Transfers zwischen Ländern und Gemeinden. „Hier fehlen schlicht die Daten und die Länder sind wenig auskunftsfreudig.“ Sie plädiert für eine Entflechtung, denn: „Die zahlreichen Transferzahlungen gefährden das finanzielle Gleichgewicht vieler Gemeinden, da diese Soziales und Gesundheit auf Landesebene kofinanzieren müssen.“ Die mangelnde Transparenz der Finanzströme ist auch für Margit Schratzenstaller ein Manko. „Es ist oft schwer, eine Gesamtschau darüber zu erhalten, wie und wie effizient die Mittel eingesetzt werden. Die Datengrundlagen zu verbessern wäre wichtig, um die Verhandlungen auf eine rationalere Grundlage zu stellen.“

Von den kommenden Finanzausgleichsverhandlungen erhofft Michael Getzner sich einen Fokus auf die Themen Klimaschutz und Biodiversität sowie Senkung des Flächenverbrauchs: „Für mich wäre das ein Erfolg, denn das sind die großen inhaltlichen Themen.“ Mitterer sieht „auf allen Ebenen gute Argumente, warum die Gebietskörperschaften mehr Geld brauchen“, und erwartet gerade deshalb heiße Debatten: „Der Bund hat Schulden aufgenommen, um durch die Corona-Pandemie zu kommen, und aktuell haben wir eine Inflationskrise. Andererseits hatten Länder und Gemeinden durch die Pandemie sehr hohe Mehrausgaben.“

Es gibt deutliche Transparenzmängel bei den Transfers zwischen Ländern und Gemeinden. Hier fehlen schlicht die Daten und die Länder sind wenig auskunftsfreudig.“

Karoline Mitterer, Zentrum für Verwaltungsforschung

Doch die Erwartungen der Expertinnen und Experten sind gering. Für Margit Schratzenstaller vom WIFO war „das Auffallendste in den vergangenen Jahren, dass es keine großen Veränderungen gab“. Der Föderalismus sei insgesamt reformbedürftig, sagt sie, um „Doppelgleisigkeiten, Aufgabenüberschneidungen und den zu schwachen Zusammenhang zwischen Aufgaben-, Ausgaben- und Einnahmenverantwortung auf Ebene der Länder und Gemeinden“ zu beenden. TU-Professor Getzner ist vorsichtig: „Man darf sich nicht erwarten, dass sich durch solche Verhandlungen große Sprünge er-geben.“ Bei den Aufgaben ändere sich erstaunlich wenig: „Das System, welche Ebene unseres Staates wie viel Geld ausgibt, ist stabil“, stellt er fest. Diesen Eindruck teilt auch Finanzausgleichsexpertin Karoline Mitterer: „Es gibt in der Regel keine gravierenden Änderungen gegenüber dem Vorjahr.“ Sosehr also Reformen gefordert werden – dass sie im nächsten Finanzausgleich kommen, ist äußerst unwahrscheinlich.

Reform.

Mehr Transparenz, mehr Zukunftsthemen – Expertinnen und Experten fordern immer wieder eine Reform des Finanzausgleichs. Das Bundesministerium für Finanzen (BMF) hat mehrere Studien dazu in Auftrag gegeben.

www.bmf.gv.at
Harald Waiglein ist seit 2012 Sektionschef im Finanzministerium und hat mit Finanzkrise, Coronavirus-Pandemie und dem Krieg in der Ukraine turbulente Perioden erlebt. Lösungen für „die großen Themen der Zeit“ zu entwickeln, darin liegt für ihn der Reiz an seinem Job, der einiges an Stressresistenz erfordert.

Text: Cornelia Ritzer

 

Als Leiter der Sektion III sind Sie für Wirtschaftspolitik, Finanzmärkte und Zölle zuständig. Sie beschäftigen sich also mit vielen Themen – welche sind aktuell die wichtigsten?

Das kann man nur schwer werten, da momentan der Krieg in der Ukraine alles überlagert und sich auf alle drei Bereiche auswirkt. Die Sanktionen sind in vielen Fällen vom Zoll zu exekutieren. Dann hat der Krieg natürlich Auswirkungen auf das Finanzsystem, wo wir die Risiken kontrollieren müssen. Und wirtschaftspolitisch müssen wir an Unterstützungsprogrammen angesichts der hohen Energiepreise arbeiten. Doch ich kann nicht sagen, welcher Bereich mehr und welcher weniger betroffen ist.

Wie wirkt sich die aktuelle Situation auf die Arbeitsbelastung Ihrer 150 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Sektion aus?

Die ist in den vergangenen Jahren kontinuierlich gestiegen, weil wir immer mehr Aufgaben für die Verwaltung erfinden, auch auf europäischer Ebene. Aber die Zahl der Personen, die alle diese Aufgaben erledigen müssen, bleibt die gleiche.

In einem Porträt der „Neuen Zürcher Zeitung“ wurden Sie 2015 als „Sektionschef mit ungewöhnlichem Karriereweg“ bezeichnet.  Empfinden Sie Ihren Karriereweg ebenfalls als ungewöhnlich?

Vielleicht ist er für österreichische Verhältnisse ungewöhnlich. Ich denke, in den USA oder England wäre das nicht so. Da gibt es viele Leute, die in der Studienzeit eine Band haben und Musik machen und dann Molekularbiologen oder irgendwas anderes  werden. Bei uns ist das zwar nicht so üblich, aber es ist auch nicht vollkommen außergewöhnlich.

Was ist bei uns anders als zum Beispiel in England?

Ich kann nur vom Finanzsektor sprechen, aber in England findet man viel mehr Leute, die eigentlich von ganz woanders  herkommen. Da gibt es Physiker und auch Biologen, die draufgekommen sind, dass ihr mathematisches Wissen auch im Bankenbereich gut einsetzbar ist. Die Durchlässigkeit zu anderen Sektoren ist größer. Das liegt vielleicht auch daran, dass es in den USA und in England weniger üblich ist, dass Menschen schon mit 13 Jahren wissen, was sie werden wollen, und nur auf dieses eine Ziel hinarbeiten. Sondern sie machen vielleicht die eine oder andere Kurve auf dem Karriereweg und landen dann ganz woanders, als sie geplant haben.

„Die Tätigkeit bei uns ist extrem gewinnbringend, weil man an den großen Themen der Zeit mitarbeitet und hilft, Lösungen zu entwickeln.“

Es kommt eine Pensionierungswelle auf uns zu, allerorts wird Personal gesucht. Haben Sie Tipps für Menschen, die im öffentlichen Dienst arbeiten möchten? Lohnt sich auch ein späterer Wechsel in die Verwaltung? Und welche Eigenschaften sollte man dafür mitbringen?

Es ist möglich und passiert auch immer wieder. Wir hatten zum Beispiel in letzter Zeit Wechsel von der Finanzmarktaufsicht und auch schon aus dem Privatsektor, dem Bankenbereich, zu uns. Teils hat das einen persönlichen Hintergrund, teils ist es das  Interesse. Aber es lohnt sich auf jeden Fall. Die Tätigkeit bei uns ist extrem gewinnbringend, weil man an den großen Themen der Zeit mitarbeitet und hilft, Lösungen zu entwickeln. Das ist der Anreiz.

Als Tipp würde ich jedem, der in der Verwaltung arbeiten will, mitgeben, dass man den Hang zum Politikmachen – so man den hat – am Eingang abgeben sollte. Denn wenn man Politik machen will, muss man sich um ein Amt bemühen und schauen, dass man gewählt wird. Wir sind ja nicht gewählt, darum kann es nicht unsere Aufgabe sein, Politikerinnen und Politiker zu overrulen, sondern wir sind da, um fachlich bestmöglich zu beraten. Und das ist schwer, wenn man stark ideologisch getrieben ist. Ministerinnen und Minister kommen und gehen. Unser Job ist aber, egal wer Ministerin oder Minister ist, diese Person bestmöglich zu unterstützen.

Welche anderen Eigenschaften braucht es für eine Tätigkeit in der Verwaltung?

Man muss stressresistent sein und auch  mit sehr flexiblen Arbeitszeiten gut umgehen können, weil wir manchmal die ganze Nacht über verhandeln. Und man darf nicht zu empfindlich sein, wenn es mal härter hergeht. Wir werden im Parlament oft kritisiert, teilweise geht das auch ins Persönliche. Das darf man einfach nicht überbewerten. Persönlich nehmen sollte man das überhaupt nicht.

Das Finanzministerium geriet in jüngster Zeit etwa wegen der Finanzierung von thematisch fragwürdigen Studien oder einer Hausdurchsuchung in die Schlagzeilen. Wie geht es einem da als Mitarbeiterin oder Mitarbeiter auf Beamtenebene? Wie reagiert man? 

Es hat schon viele Kolleginnen und Kollegen bedrückt, in welches Licht das Finanzministerium gerückt wurde. Unser Selbstverständnis ist ja ein anderes. Steuersektionschef Gunter Mayr hat das im Untersuchungsausschuss gut auf den Punkt gebracht – „so ist die Finanzverwaltung nicht“. Man kann in dem Zusammenhang auch anmerken, dass die Personen, die das betroffen hat, überwiegend nicht aus dem Apparatdes BMF gekommen sind, sondern Quereinsteiger waren. Die Menschen hier im Haus und in der Finanzverwaltung haben ein hohes Ethos und eine sehr professionelle Auffassung von Arbeit.

Sind Sie in die Situation gekommen, das Finanzministerium verteidigen zu müssen?

Das musste ich immer wieder, in verschiedensten Zusammenhängen. Das hat mit der Finanzkrise 2008 und den Rettungsmaßnahmen für Griechenland begonnen und zieht sich bis heute durch. Wir müssen alles, was wir machen, argumentieren, aber oft auch verteidigen. Das ist auch gut so, denn ein großer Teil dieser Verteidigung findet in parlamentarischen Ausschüssen statt, wo das Parlament von uns wissen will, warum wir manche Dinge tun und ob wir sie nicht auch anders machen
können.

Vor Ihrer Tätigkeit im Finanzministerium haben Sie als Übersetzer sowie als Wirtschaftsjournalist – unter anderem bei der „Wiener Zeitung“ – gearbeitet. Welche Rolle spielen Kommunikation und damit auch Bürgernähe sowie Transparenz in Ihrer jetzigen Funktion?

Wir haben früher im Zusammenhang mit dem Finanzsektor viel erklärt und ich mache das auch sehr gerne, wenn man mich einlädt. Meine Erfahrung ist, dass der Finanzsektor in der öffentlichen Diskussion kein Thema mehr ist. Insofern haben wir momentan nicht viel zu erklären. Kommunikation ist für mich auf der Ebene der internationalen Verhandlungen am wichtigsten.

Da geht es  um gute Argumente, darum, dass man auch seine Gegenüber in anderen Ländern kennt und weiß, was deren Positionen sind und wo es eventuell Überschneidungen gibt. Und das in einer Fremdsprache auf einem extrem hohen Niveau. Wer glaubt, er kann eine Richtlinie über Bankenabwicklung verhandeln, ohne gut Englisch zu sprechen, hat schon verloren. Das internationale Geschäft beruht auf einer vertrauensvollen Kommunikation.

Seit 2012 ist Harald Waiglein als Sektionschef im Finanzministerium für die Themen Wirtschaftspolitik, Finanzmärkte und Zölle zuständig. Der Ukraine-Krieg wirkt sich auf alle diese Bereiche aus.
Fotos: Franziska Liehl

„Die Sektion III ist der Schnittpunkt zwischen der österreichischen und der internationalen Wirtschafts- und Finanzpolitik. Gerade in Zeiten der Krise spielt sie eine Schlüsselrolle bei der Bewältigung der anstehenden Probleme“, sagten Sie 2012, als Sie Sektionschef wurden, über Ihre neue Herausforderung. Mit der Staatsschuldenkrise in Griechenland, der Coronavirus-Pandemie und nun dem Krieg in der Ukraine haben wir einige schwierige Zeiten erlebt. Gibt es so etwas wie den richtigen Umgang mit Krisen?

Jetzt könnte ich ganz banal sagen, man muss Ruhe bewahren und versuchen, eine Lösung zu finden. Aber wenn ich die Krisen Revue passieren lasse, gibt es kein Patentrezept. Denn jede war anders, hatte andere Ursachen und hat andere Lösungen erfordert. Man muss rasch, ehrlich und gründlich analysieren, wo eine Krise herkommt, damit man Lösungsansätze entwickeln kann. Aber das ist sehr allgemein. Eine Staatsschuldenkrise ist etwas anderes als eine Pandemie, und der Krieg in der Ukraine ist wieder etwas anderes.

Die gefährlichste Krise war für mich die Finanzkrise 2008, die aber in der öffentlichen Wahrnehmung nicht so präsent war, weil wir das Schlimmste verhindert haben. Das hätte viel dramatischer ausgehen können.

Sie haben neben Ihrer Arbeit als Sektionschef zahlreiche internationale Funktionen, unter anderem sind Sie kürzlich als  Vorsitzender des EU-Ausschusses für Finanzdienstleistungen, des Financial Services Committee (FSC), wiedergewählt worden. Wie wichtig ist der Blick über die österreichischen Grenzen hinweg für Sie und Ihre Arbeit?

Er ist sehr wichtig, weil wir ein kleines Land sind, und kleine Länder können nur bestehen, wenn sie Freunde haben und auf internationaler Ebene wahrgenommen und bekommt es in den meisten Fällen. Oder man ist klein wie wir und viele andere – dann braucht man Freunde, muss Allianzen schmieden und verstehen, was die gemeinsamen Themen sind und wo man gemeinsame  Argumentationslinien finden kann. Das ist unsere einzige Chance. Da sind multilaterale Organisationen extrem wichtig, weil wir in solchen viel mehr bewegen können, als das bilateral möglich ist. werden.

Es gibt zwei Möglichkeiten, sich global durchzusetzen: Entweder man ist die USA oder China, also groß und reich, und sagt, was man will, und bekommt es in den meisten Fällen. Oder man ist klein wie wir und viele andere – dann braucht man Freunde, muss Allianzen schmieden und verstehen, was die gemeinsamen Themen sind und wo man gemeinsame Argumentationslinien finden kann. Das ist unsere einzige Chance. Da sind multilaterale Organisationen extrem wichtig, weil wir in solchen viel mehr bewegen können, als das bilateral möglich ist.

Sie führen auch den Vorsitz im Direktorium der Europäischen Finanzstabilisierungsfazilität sowie im Risikoausschuss des  Europäischen Stabilitätsmechanismus. Wie wichtig ist es für Österreich, dass heimische Expertinnen und Experten in solchen Gremien mit am Tisch sitzen? Wäre der Informationsfluss aus den Institutionen sonst ein anderer?

Wir können nur dann bestehen, wenn wir Diskussionen in multilateralen Gremien mit starken Argumenten – und darin muss man eben gut sein – in eine Richtung bewegen können, die für uns positiv ist. Wir müssen andere überzeugen. Es gibt keinen Grund, dass irgendwer uns einen Gefallen tut, nur weil wir Österreich sind.

Sie sind bereits seit zehn Jahren Leiter der Sektion III im Finanzministerium. Die Digitalisierung ist in dieser Zeit immer weiter  vorangeschritten, so ist Onlinebanking am Smartphone heute ganz alltäglich. Wissen die Österreicherinnen und Österreicher genug über die Vor- und Nachteile dieser Entwicklung? Oder braucht es hier mehr Bildung?

Die Financial-Literacy-Initiative im Finanzministerium läuft sehr erfolgreich, und wir haben auch eine  Begutachtungsstellungnahme für die neuen Lehrpläne eingemeldet, da wir der Meinung sind, dass vor allem an den AHS zu wenig wirtschaftliche und finanzielle Bildung vermittelt wird. Das merken wir überall. Ich bemerke es auch an mir selbst, denn als ich maturierte, wusste ich nicht, was eine Mehrwertsteuer ist und wie wir eine Steuererklärung ausfüllen müssen, geschweige denn, wie man eine Bilanz liest. Das ist eigentlich unsäglich, denn die politische Debatte dreht sich insbesondere um Wirtschaftsthemen. Und wir bereiten einen großen Teil der Menschen dieses Landes nicht darauf vor.

3 Fragen, 3 Antworten

Sie sind beruflich viel unterwegs. In welche Länder reisen Sie privat?
Entweder nach Spanien, wo mein Vater lebt, oder nach Namibia, wo wir viel Familie haben.

Man weiß, dass Sie Musiker sind. Wie oft besuchen Sie noch Konzerte?
Zu selten. Das letzte Mal war ich mit meiner ältesten Tochter beim Reading Festival. Da ist man dann gezwungen, sich wieder mal ein Konzert anzuschauen, und da war ich sehr positiv überrascht.

Gibt es ein Erfolgsrezept, um in der öffentlichen Verwaltung Karriere zu machen?
Ich könnte jetzt lügen und sagen, man muss dies und jenes machen, und dann wird man Sektionschef. Aber vieles davon ist auch Glück. Dass ich in dieser Position bin, hat auch damit zu tun, dass ich das Glück hatte, zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein. Andererseits hat man das Glück aber auch nur, wenn man die Anforderungen erfüllen kann.
Wir müssen schnell sein, wir müssen stressresistent sein, wir müssen hochprofessionell sein und wissen, was wir tun. Finanzsektorthemen sind extrem komplex, da braucht man wahre Expertinnen und Experten. Aber deswegen ist es auch so lohnend, weil man eine Herausforderung hat, die es auch wert ist, dass man sie angeht.

Financial Literacy.

Das BMF setzt im Rahmen der Österreichischen Jugendstrategie das Projekt Financial Literacy um. Ziel ist die Unterstützung junger Menschen beim Erwerb finanzwirtschaftlicher Kompetenz, die ein wesentlicher Faktor für wirtschaftliche Selbstbestimmtheit ist.

www.bmf.gv.at
1955 hat sich Österreich zur „immerwährenden Neutralität“ verpflichtet. Angesichts des Krieges in Europa ist jetzt ein guter Zeitpunkt, sich über die Bedeutung und die mögliche Ausgestaltung dieser Neutralität Gedanken zu machen.

Seit Ende des Zweiten Weltkrieges ist Finnland neutral. Angesichts der Bedrohung durch Russland hat das Land nun eine NATO-Mitgliedschaft beantragt. Drei Viertel der Finninnen und Finnen hatten sich zuletzt in einer Umfrage für einen Beitritt ausgesprochen. Auch Schweden hat sich zu diesem Schritt entschlossen. Ganz anders das Stimmungsbild in Österreich: Die Neutralität scheint hierzulande beliebter zu sein als je zuvor. Ein NATO-Beitritt wird nur von 14 Prozent der Bevölkerung befürwortet. Die Hälfte der Österreicherinnen und Österreicher (52 Prozent) ist der Ansicht, dass die Neutralität unserem Land sogar Schutz biete. Das geht aus einer Umfrage des Instituts für Demoskopie und Datenanalyse (IFDD) hervor, die im Auftrag der APA anlässlich des Europatages am 9. Mai durchgeführt wurde. Was bedeutet das Neutralitätskonzept, das Österreich gewählt hat, in rechtlicher und politischer Hinsicht? Und wie kann Neutralität heute zeitgemäß definiert werden?

Das österreichische Exemplar der Staatsvertrages mit den Unterschriften.

Staatsvertrag. Mit dem 1955 unterzeichneten Vertrag wurde die Souveränität Österreichs wiederhergestellt. Die Neutralität war nicht Teil des Vertrags, aber Vorbedingung der Sowjetunion, damit es dazu kommen konnte. ©Gindl, Barbara/APA/picturedesk.com

Immerwährend neutral

Die österreichische Neutralität hat ihre Grundlage im Neutralitätsgesetz: Dieses hält fest, dass Österreich seine immerwährende Neutralität freiwillig erklärt hat und sie aufrechterhalten und verteidigen wird. Österreich wird keinen militärischen Bündnissen beitreten und die Errichtung militärischer Stützpunkte fremder Staaten auf seinem Gebiet nicht zulassen. Jede Form der militärischen Unterstützung von Konfliktparteien ist dem Staat untersagt, wirtschaftliche und diplomatische Verbindungen sind hingegen möglich.
Das Neutralitätsgesetz ist ein rein innerstaatlicher Akt, und doch hat die österreichische Neutralität auch eine völkerrechtliche Dimension: Denn die Republik Österreich hat jenen Staaten, mit denen sie diplomatische Beziehungen pflegt, ihre Neutralität offiziell kundgetan.

Bekenntnis. Seit 26. Oktober 1955 ist das freiwillige Bekenntnis zur „immerwährenden Neutralität“ in der österreichischen Bundesverfassung verankert. ©Votava/brandstetter images/picturedesk.com

Voraussetzung für Staatsvertrag

Österreichs Neutralität geht zurück auf das Jahr 1955: Sie war eine politische Bedingung für die Wiedererlangung der Souveränität, ohne sie wäre der Staatsvertrag nicht zustande gekommen. „Die Sowjetunion erhoffte sich, mit Österreich nach dem Vorbild der Schweiz einen neutralen Keil in die NATO treiben zu können“, erklärt Martin Senn, Assoziierter Professor für Internationale Beziehungen am Institut für Politikwissenschaft der Universität Innsbruck. Wie sich diese Neutralität definiert, dazu gab es vonseiten der Besatzungsmächte nur wenige Vorgaben: Sie sollte durch Österreich erklärt werden, permanent sein und militärisch verteidigt werden. Die Neutralität ist auch keines der Grundprinzipien der Bundesverfassung. Das heißt, wir könnten sie auch jederzeit ohne Volksabstimmung modifizieren oder ablegen. Um das Gesetz zu ändern, bräuchte es eine Zweidrittelmehrheit im Nationalrat
und Bundesrat.

„Die Sowjetunion erhoffte sich, mit Österreich einen neutralen Keil in die NATO treiben zu können.“

Martin Senn, Professor an der Uni Innsbruck

Konzept im Wandel

Österreichs Neutralität ist wandelbar: Sie hat sich über die Jahre wesentlich verändert und sich von ihrem Schweizer Vorbild entfernt. Erstmals geschah dies mit dem Beitritt zur UNO: Nach dem Ende des Ost-West-Konfliktes legte sich Österreich dann dahingehend fest, die Solidaritätspflichten im Rahmen der Vereinten Nationen über die Neutralitätspflichten zu stellen. Die Beteiligung an den Sanktionen gegen den Irak in den 1990er Jahren war laut Senn daher der zweite wesentliche Wendepunkt. Und schließlich hat sich Österreich mit dem EU-Beitritt dazu verpflichtet, an der gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik Europas mitzuwirken.

Mehr als eine Willenserklärung

In Europa sind neben Österreich auch Finnland, Irland, Schweden und die Schweiz neutrale Staaten, außerdem sind Bosnien und Herzegowina, Malta, Serbien sowie Zypern bündnisfrei. In jedem dieser Staaten ist Neutralität anders entstanden und geregelt. Bei der finnischen und der schwedischen Neutralität handelt es sich lediglich um eine politische Willensbekundung, während Österreich seine Neutralität per Gesetz in Rechtsform gegossen hat. Damit Österreich sich mit der Ukraine solidarisch zeigen konnte, brauchte es auf EU-Ebene einen konkreten Beschluss des Rates. Insbesondere der Transit von Militärausrüstung und Soldaten in die Ukraine oder die Gestattung von Überflügen zu militärischen Zwecken wären neutralitätsrechtlich sonst nicht zulässig gewesen.

„Für die langfristige Konfliktbearbeitung macht es Sinn, die Kapazitäten auf Ebene der internationalen Organisationen auszubauen.“

Thomas Roithner, Friedensforscher an der Uni Wien

Investitionen in Landesverteidigung

Auch wenn ein NATO-Beitritt für Österreich kein Thema ist: Der Krieg in der Ukraine hat die Diskussion über die Landesverteidigung neu entfacht. Expertinnen und Experten sind sich einig: Anders als die Schweiz wäre Österreich im Fall eines militärischen Angriffs wohl kaum in der Lage, sich erfolgreich zur Wehr zu setzen. Dabei geht aus dem Neutralitätsgesetz die Verpflichtung hervor, die Neutralität „mit allen zu Gebote stehenden Mitteln“ zu verteidigen. Wie soll sich Österreich als neutrales Land also in der aktuellen Situation verhalten? Die politische Antwort lautet derzeit Aufrüstung: Das Bundesministerium für Landesverteidigung fordert einen milliardenschweren „Neutralitätsfonds“, um den Investitionsstau der vergangenen Jahrzehnte abzubauen.

Mit allen Mitteln. Im Gesetz über die immerwährende Neutralität ist auch verankert, dass diese „mit allen zu Gebote stehenden Mitteln“ zu verteidigen ist. Was bedeutet das aber für die finanzielle Ausstattung des Bundesheeres? © BMLV/OTS

Grundsatzfragen klären

Ein Vorgehen, dessen Sinnhaftigkeit Martin Senn bezweifelt: Österreich müsse sich zunächst die Frage stellen, für welche Aufgaben das Bundesheer verwendet werden soll. Die Ausgaben würden dann daraus folgen. Vor allem müsse man sich die Grundsatzfrage stellen, wie sich Österreich angesichts eines militärischen Angriffs auf einen anderen EU-Staat verhalten würde, so der Forscher. „Welchen Beitrag wollen wir im Rahmen der europäischen Solidarität leisten? Wollen wir an Kampfeinsätzen mitwirken? Oder uns auf die im EU-Vertrag festgelegte ‚Irische Klausel‘ berufen, die es uns ermöglicht, uns aufgrund unserer Neutralität zu enthalten? Dann sind wir allerdings wirklich sicherheitspolitische Trittbrettfahrer“, gibt er zu bedenken. Dass die Politik die Debatte über die Neutralität scheut, ist laut Senn nachvollziehbar, genießt diese doch in der Bevölkerung eine hohe Beliebtheit. Werde diese Diskussion aber nicht geführt, vergebe man auch die Chance, die Neutralität sinnstiftend auszugestalten, so der Experte.

Mittel neu denken

Die Neutralität eröffnet Österreich auch andere Möglichkeiten: Neutrale Staaten sichern ihre souveräne Existenz nicht ausschließlich durch Verteidigung ab, sondern auch durch einen Mehrwert für andere Staaten. So konnte Österreich seine neutrale Stellung innerhalb Europas in der Vergangenheit durchaus positiv nutzen, etwa um internationale Organisationen und Konferenzen im Land anzusiedeln. Thomas Roithner, Friedensforscher an der Uni Wien, plädiert für ein Sicherheitsverständnis, das auf inkludierenden Institutionen und demokratischen Aushandlungsprozessen fußt – statt auf militärischer Aufrüstung. Ein massiver konventioneller Angriff auf unser Staatsgebiet sei sehr unrealistisch, daher sollte Österreich auch nicht primär auf die militärische Karte, sondern auf die politische setzen. „Ich frage mich, welchen Mehrwert die vielen Militärausgaben für die langfristige Konfliktbearbeitung bieten können. Meines Erachtens würde es mehr Sinn machen, die Kapazitäten auf der Ebene der internationalen Organisationen auszubauen“, so Roithner. Erst kürzlich habe Österreich mit seinem Einsatz für die Aushandlung eines Atomwaffenverbotsvertrages ein positives Beispiel in diese Richtung gesetzt.

Neutralität friedlich ausgestalten

Als „Leuchtturm“ mit Vorbildwirkung für Österreich sieht Roithner den Zivilen Friedensdienst in Deutschland, ein Programm, das internationale Partner langfristig in ihrem Engagement für Dialog, Menschenrechte und Frieden unterstützt. Auch in Österreich diskutiert man solche Entsendungen, im aktuellen Regierungsprogramm ist ein ähnliches Projekt vorgesehen. Hinsichtlich einer zeitgemäßen Ausgestaltung der Neutralität sieht der Forscher jedenfalls noch viel Luft nach oben.

Hintergrund

Mehr Informationen zur immerwährenden Neutralität Österreichs und deren Bedeutung für das Land finden sich unter anderem auf der Website des Parlaments.

www.fachinfos.parlament.gv.at
Die Republik Österreich verfügt über ein reiches kulturelles Erbe: Die verantwortliche Sektion V im Bundesministerium für Digitalisierung und Wirtschaftsstandort (BMDW) versteht sich als zentrale Koordinatorin mit viel Know-how und einem breit gefächerten Aufgabenbereich. Sektionschef Alexander Palma im Gespräch über die tägliche Arbeit mit Schätzen aus der Kulturgeschichte Österreichs.

Sie sind seit Oktober 2021 Leiter der Sektion V – Kulturelles Erbe. Die kulturhistorischen Schätze der Republik Österreich sind bekannt, über die Sektion findet man weniger Infos. Was ist der Grund?

Das hat keinen besonderen Grund. Wir geben die Strategie vor und wirken durch die Tätigkeiten unserer Dienststellen und unserer Gesellschaften. Als Wirtschaftsministerium sind wir Eigentümervertreter und Verwalter der Dienststellen Burghauptmannschaft Österreich und Bundesmobilienverwaltung sowie der Gesellschaften Schloss Schönbrunn und Tiergarten Schönbrunn. Die Bundesmobilienverwaltung hat mit 175.000 Objekten enorm viele Exponate und auch Werkstätten, wo diese restauriert werden. Die Objekte sind im Möbelmuseum in der Andreasgasse in Wien zu sehen, in der Silberkammer in der Hofburg und im Moment in einer Sonderausstellung in Schloss Hof in Niederösterreich. Die Bundesmobilienverwaltung ist auch dafür zuständig, den roten Teppich bei Staatsbesuchen auszulegen – und zwar wortwörtlich. Sie stellt das Mobiliar für Staatsempfänge und für österreichische Vertretungsbehörden im Ausland zur Verfügung und deckt die Tafel des Bundespräsidenten und seiner Gäste mit dem aktuellen Service der Republik. Das ist beeindruckend! Die Burghauptmannschaft betreut bautechnisch rund 100 Liegenschaften in ganz Österreich, darunter beispielsweise die Hofburg Wien, und ist derzeit auch mit viel Fachwissen daran beteiligt, dieses baukulturelle Erbe erlebbar zu gestalten. Ein weiteres wichtiges Aktionsfeld der Sektion ist die Wohnungsund Siedlungspolitik, die Rahmenbedingungen für die gemeinnützige Wohnbauwirtschaft schafft.

Bewahren für die Zukunft. Die historischen Möbel im Büro von Sektionschef Alexander Palma wurden erst kürzlich restauriert und können damit weiterhin genutzt werden. © Franziska Liehl

Was hat Sie an der Beamtenlaufbahn gereizt?

Nach dem Studium der Betriebswirtschaftslehre ging ich in die Steuerberatung, wo ich über drei Jahre tätig war. Als ich mit der Vorbereitung auf die Steuerberaterprüfung begonnen habe, wurde ich auf eine Stellenausschreibung des Ministeriums aufmerksam, in der ein Experte für Bilanzanalyse und Eigentümervertretung gesucht wurde. Das hat für mich gepasst und ich habe mich beworben.
Der Dienst für die Allgemeinheit hat mich bewegt. Und die Gesellschaften haben mich gereizt. Ich habe meine Steuerberaterprüfung trotzdem noch fertig gemacht, denn es war mir wichtig, begonnene Dinge auch abzuschließen.

„Aufgrund der Altersstruktur im Bund werden sich in den nächsten Jahren viele Möglichkeiten im öffentlichen Dienst ergeben.“

Haben Sie Tipps für junge Menschen, die ebenfalls eine Karriere im öffentlichen Dienst anstreben?

Jetzt ist ein sehr guter Zeitpunkt dafür, denn aufgrund der Altersstruktur im Bund werden sich in den nächsten Jahren viele Möglichkeiten ergeben. Mir hat besonders fundiertes Fachwissen geholfen, das ich mir angeeignet hatte und in meinen Job einbringen konnte. Als ich im Bundesdienst anfing, habe ich mich fachlich, wirtschaftlich und in Bilanzanalyse sehr gut ausgekannt. Aber die Strukturen, die Organisation und die Regelungen im Bund waren mir neu. Man muss offen sein, auch für das stetige Lernen. Was man sicher noch braucht, sind Kreativität sowie Geduld und Ausdauer, denn manche Projekte sind aufgrund der Gegebenheiten nicht so schnell durchführbar.

Welche Studienrichtungen sind für eine Karriere im Bundesdienst empfehlenswert?

Wir in der Sektion haben ein breites Spektrum an Ausbildungen. Zu unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zählen Juristinnen und Juristen, Volkswirtinnen und Volkswirte sowie Betriebswirtinnen und Betriebswirte. Kunsthistorikerinnen und Kunsthistoriker sowie Technikerinnen und Techniker sind für den Baubereich zuständig.

Verwalten und erhalten. Die Pflege des kulturhistorischen Erbes der Republik gehört zu den Aufgaben der Sektion V. Das Ministerium ist außerdem Eigentümervertreterin des beliebten Tiergartens Schönbrunn. © Franziska Liehl

Sie waren schon früher in Leitungspositionen tätig. Welche Erfahrungen konnten Sie in Ihre jetzige Funktion einbringen?

Ich habe die klassische Beamtenlaufbahn absolviert. 2005 habe ich im Wirtschaftsministerium als Referent in der Abteilung Gesellschaften und Sonderfinanzierungen angefangen. Nachdem der damalige Abteilungsleiter 2014 in Pension gegangen ist, bin ich nachgefolgt. 2018 wurde ich Stellvertreter der damaligen Sektionschefin Elisabeth Udolf-Strobl, nachdem es durch die Umbildung der Bundesregierung Veränderungen in der Sektion gab. Aufgrund der Breite meiner Erfahrungen war ich damals schon mit den vielfältigen Aufgaben der Sektion vertraut. Die Stellvertretung hat mir dann noch mehr Einblick in die anderen Bereiche der Sektion gegeben.
Als Frau Sektionschefin Udolf-Strobl 2019 Bundesministerin in der Expertenregierung geworden ist, habe ich sie sieben Monate lang vertreten. Diese Zeit war spannend, mit viel Lernen verbunden – und quasi eine Vorbereitung: Nachdem sie im Jahr darauf in Pension gegangen ist, war es der logische Schritt, dass ich mich als Sektionschef bewerbe.

„Mir liegt am Herzen, diese Gebäude und Kostbarkeiten für zukünftige Generationen zu erhalten und zu sichern.“

In Ihrer täglichen Arbeit haben Sie mit wahren Schätzen zu tun. Was fasziniert Sie an diesem Bereich?

Wir sind für die Erhaltung und Pflege von Immobilien und Mobilien zuständig. Wenn man bedenkt, dass die ältesten Teile der Hofburg auf das 13. Jahrhundert zurückgehen, und wenn man bedenkt, wer dort alles schon gelebt, gewohnt und gearbeitet hat, durch welche Räumlichkeiten man schreitet, ist das schon sehr beeindruckend. Einerseits ist unsere Aufgabe die Erhaltung, die Räumlichkeiten müssen aber auch genutzt werden, und sie werden intensiv als Büros, Mietwohnungen, Geschäftslokale und natürlich auch für museale Zwecke gebraucht. Man muss bei diesen Schätzen ein gewisses Maß finden, also erhaltend sanieren und den Denkmalschutz berücksichtigen, aber auch eine zeitgemäße und adäquate Nutzung ermöglichen. Mir liegt am Herzen, diese Gebäude und Kostbarkeiten für zukünftige Generationen zu erhalten und zu sichern. Wir bewahren Geschichte und machen sie gleichzeitig fit für die Zukunft!

Wie viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind in Ihrer Sektion tätig? Und haben Sie schon alle kennenlernen können – Stichwort Pandemie und Homeoffice?

Wir haben in der Sektion etwas über 50 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, und da ich aus der Sektion komme, kenne ich natürlich alle sehr gut. Die Burghauptmannschaft Österreich hat ungefähr 150 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die Bundesmobilienverwaltung etwa 45. Da kenne ich viele, aber leider noch nicht alle. Aufgrund der Covid-19-Pandemie hat sich vieles verändert. Die Arbeitsweise ging viel mehr Richtung online und digital. Ich habe es mir trotzdem zur Aufgabe gemacht, regelmäßig mit den Dienststellen Kontakt zu haben. Ich besuchte vor einigen Wochen die Abteilungen der Burghauptmannschaft in Innsbruck und hatte dort Besprechungen. Im Möbelmuseum hatte ich im vergangenen Jahr eine Ausstellung zu eröffnen, wie auch vor kurzem in Schloss Hof. Also, es funktioniert! Online sieht man sich wahrscheinlich im Moment öfter als physisch, aber ich hoffe, dass der persönliche Kontakt wieder zurückkommen wird.

Staatsbesuche. Das Personal der Silberkammer ist sind auch für das Decken der Tafel bei Staatsempfängen verantwortlich. © Bundesimmobilienverwaltung, Silberkammer Hofburg Wien/Tina King

Was hat sich beim Remote-Arbeiten bewährt, was wollen Sie beibehalten?

Online und physisch sind eine gute Mischung, genauso wie in meinem Büro ein Teil modern, ein anderer Teil historisch ist. In der zukünftigen Kommunikation wird sicher einiges online bleiben. Man muss darauf achten, wo es sinnvoll ist.

Burghauptmannschaft Österreich, Schloss Schönbrunn, Tiergarten Schönbrunn und Bundesmobilienverwaltung fallen in den Aufgabenbereich Ihrer Sektion, hier treffen sich die Bereiche Historie und Tourismus, der besonders während der Covid-19-Pandemie gelitten hat. Gibt es Pläne, das kulturelle Erbe im Besitz der Republik Österreich stärker touristisch zu nutzen?

Bis 2020 war die touristische Nutzung schon sehr hoch. Schloss Schönbrunn hatte 4,3 Millionen Besucherinnen und Besucher im Jahr 2019. Das Hofburg-Areal besuchten 20 Millionen Menschen pro Jahr, davon eine Million das Sisi-Museum inklusive Kaiserappartements und Silberkammer, und die Hofburg in Innsbruck zählte 142.000 Besucherinnen und Besucher. In der Hofburg Innsbruck wurde 2019 die neue Dauerausstellung „Maximilian I.“ eingerichtet, die mit einem modernen multimedialen Vermittlungskonzept den zeitgemäßen Anforderungen an einen modernen Ausstellungsbetrieb entspricht. Bei den Tageskarten für den Tiergarten Schönbrunn lag der Anteil der Touristinnen und Touristen bei circa 40 Prozent. Wir hoffen, dass wir nach Covid bald wieder auf dieses sehr hohe Niveau kommen können. Und bei unseren anderen Gebäuden ist die touristische Nutzung dahingehend gegeben, dass sich darin oftmals international renommierte Kunst- und Kulturinstitutionen befinden und unsere historischen Objekte das Stadtbild prägen. Jede Touristin, jeder Tourist, die oder der nach Wien kommt, erfreut sich an den historischen Gebäuden. Und wir trachten danach, dass sie auf Hochglanz gehalten werden.

Expertise und Ausdauer. Für den Beginn einer Karriere im öffentlichen Dienst sei jetzt ein guter Zeitpunkt, sagt Alexander Palma. Neben Fachwissen und der Bereitschaft zu lernen brauche es auch Kreativität und Geduld. © Franziska Liehl

Im Jahr 2003 sorgte der Diebstahl der Saliera aus dem Kunsthistorischen Museum Wien für mehr Aufmerksamkeit für historische Schätze in den Museen. Wie sind die Exponate gesichert und versichert?

Grundsätzlich hat dieser Vorfall zu wesentlichen Verbesserungen beim Thema Sicherheit geführt. Primär sind die Museen, die unsere Nutzer sind, für die Sicherheit ihrer Exponate zuständig. Dennoch legen wir besonderen Wert auf größtmögliche Sicherheit auf unseren Liegenschaften und sichern etwa Baustelleneinrichtungen nach modernen Standards und in enger Abstimmung mit den betreffenden Institutionen. Die Schloss Schönbrunn Gesellschaft sichert – wie alle anderen Museen – ihre Exponate sehr gut.

Welche Rolle spielt die Digitalisierung in einer Sektion, die sich mit historischen Schätzen beschäftigt?

Der Bund ist generell auf einem sehr hohen Digitalisierungsniveau. Auch bei uns passiert viel online – nicht nur durch Covid bedingt. In der internen Kommunikation gibt es den elektronischen Akt (ELAK), den wir beim Bund für den Workflow verwenden. Und es gibt digitale Liegenschaftsdatenbanken sowie Raumpläne unserer Gebäude. Ebenso ist die digitale Erfassung unserer Mobilien bereits weit gediehen. Die Schloss Schönbrunn Gesellschaft und die Burghauptmannschaft Österreich haben Apps für das Areal des Schlosses Schönbrunn beziehungsweise jenes der Hofburg Wien entwickelt. Darüber hinaus lassen wir die Gipsfigurensammlung der Burghauptmannschaft Österreich digital erfassen, um sie so besser zu dokumentieren und öffentlich nutzbar zu machen. Es geht einerseits um das Arbeiten mit Digitalisierung und andererseits um digitales Repräsentieren von Objekten, Gegenständen oder Räumlichkeiten. Da wird schon sehr viel getan, und es wird immer weitergemacht.

3 Fragen, 3 Antworten

Welches Buch haben Sie zuletzt gelesen?
Die „Wunderbare Reise des kleinen Nils Holgersson“ – mit meiner 4-jährigen Tochter.

Stichwort Tiergarten Schönbrunn: Haben Sie dort ein Lieblingstier?
Elefanten und Erdmännchen sind meine beiden Lieblingstiere. Auch wenn ich vor zwei Wochen an einem Wochenende im Tiergarten war, bin ich im Moment öfter beruflich als privat dort. Das bietet einen komplett anderen Blickwinkel auf den Tiergarten.

Gibt es ein Erfolgsrezept, um in der öffentlichen Verwaltung zu reüssieren?
Ausgehend vom detaillierten Fachwissen gilt es, sein Wissen auch stetig zu erweitern und sich für verschiedene Themen und Bereiche zu interessieren und
auch Neuem gegenüber aufgeschlossen zu sein. Das würde ich als Erfolgsrezept bezeichnen.

Außergewöhnlich

Für die Gesellschaften Tiergarten Schönbrunn und Schloss Schönbrunn übt das BMDW die Eigentümervertretung aus – auch um dem besonderen Stellenwert des Areals als Teil des UNESCO-Weltkulturerbes Rechnung zu tragen.

www.unesco.at/kultur/welterbe
Bei Problemen mit Behörden steht sie allen Menschen in Österreich zur Seite: Die Volksanwaltschaft feiert ihr 45-jähriges Bestehen. Ein Porträt.

Neues Terrain. Die Volksanwaltschaft nahm 1977 ihre Arbeit auf. Im Bild aus dem Jahr 1980 nehmen die ersten drei Volksanwälte Robert Weisz, Franz Bauer und Gustav Zeillinger an einer Sitzung im Parlament teil. © Cermak,Alfred/ÖNB-Bildarchiv/picturedesk.com

Es war nur eine kurze Passage in der Regierungserklärung der SPÖ-Minderheitsregierung unter Bruno Kreisky im April 1970 – eingebettet zwischen dem Versprechen, die Neufassung der Grund- und Freiheitsrechte voranzutreiben, und dem Wunsch nach transparenteren Ausschreibungen von Dienstposten: „Die Bundesregierung wird die Volksvertretung einladen, […] eine Anwaltschaft öffentlichen Rechts zu schaffen, wobei der Bundesregierung die Schaffung eines Kollegialorgans, in dem jede im Parlament vertretene Partei repräsentiert sein sollte, vorschwebt.“ Knapp sieben Jahre, mehrere Gesetzesentwürfe und noch mehr Diskussionen später führte dieser kleine Absatz zur Gründung der Volksanwaltschaft. Heuer feiert die Einrichtung, die allen Menschen bei Problemen mit den österreichischen Behörden zur Seite steht, das Jubiläum ihres 45-jährigen Bestehens. Aber der Reihe nach: Unter dem Arbeitstitel einer „Bundesverwaltungsanwaltschaft“ wollte die Regierung Kreisky Anfang der 1970er Jahre eine „Schutzeinrichtungfür den Staatsbürger“ installieren. Denn bis heute sind von behördlichen Entscheidungen betroffene Personen oft nicht ausreichend über mögliche Rechtsmittel informiert oder können diese aus finanziellen Gründen nicht ergreifen. In solchen Fällen und bei Missständen in der Verwaltung sollte die Anwaltschaft nach dem Vorbild des skandinavischen „Ombudsman“ eingreifen können. Kreisky plante, dass die Einrichtung „von jedermann unmittelbar angerufen“, gleichzeitig aber auch von sich aus tätig werden kann. „Die Bundesverwaltungsanwaltschaft kann aber auch Verordnungen einer Bundesbehörde, die sie für gesetzwidrig hält, beim Verfassungsgerichtshof bekämpfen und die Aufhebung erwirken“, sagte der Bundeskanzler in einer Anfragebeantwortung.

„Da alle IOI-Mitgliedsorganisationen eigentlich staatliche Einrichtungen sind, passt der Status einer ‚Internationalen Einrichtung‘ besser als der einer NGO.“

Werner Amon

Viele dieser Ideen gehören bis heute zum Selbstverständnis der Volksanwaltschaft, die nach einigen Anlaufschwierigkeiten mit 1. Juli 1977 ihre Arbeit aufnehmen konnte und seit 1981 in der Bundesverfassung verankert ist. Die drei Mitglieder des unabhängigen Gremiums werden vom Nationalrat für eine Funktionsperiode von sechs Jahren bestellt, das Vorschlagsrecht für die Volksanwältinnen und Volksanwälte kommt den drei mandatsstärksten Parteien im Nationalrat zu. Neben SPÖ und ÖVP konnte meistens die FPÖ einen Volksanwalt oder eine Volksanwältin stellen, nur von 2007 bis 2013 hatte mit Terezija Stoisits eine Kandidatin der Grünen das Amt inne. Seit 2019 sind Werner Amon (ÖVP), Bernhard Achitz (SPÖ) und Walter Rosenkranz (FPÖ) als Volksanwälte bestellt. Zu Beginn ihrer Funktionsperiode legen die drei Mitglieder in der Geschäftsverteilung fest, wer für die Kontrolle welcher Gesetzesbereiche zuständig ist, der Vorsitz rotiert jährlich. Zurzeit ist Walter Rosenkranz Vorsitzender, der auch für die Bereiche Polizei-, Fremden- und Asylrecht zuständig ist. Bernhard Achitz prüft auf Bundes- und auf Landesebene die Bereiche Soziales, Pflege und Gesundheit, Werner Amon unter anderem Strafvollzug und Steuern. Außerdem ist Amon Generalsekretär des International Ombudsman Institute (IOI), einer in Wien angesiedelten Organisation, der mehr als 200 unabhängige Ombudsstellen aus über 100 Staaten weltweit angehören. Seit 1. Jänner 2022 ist das IOI offiziell vom Außenministerium als „Internationale Einrichtung“ anerkannt. „Das ist ein großer Erfolg, auf den ich als Generalsekretär des IOI besonders stolz bin“, betont Amon.

Amtssitz. Im Palais Rottal in der Wiener Singerstraße residieren die drei Volksanwälte und rund 100 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Außerdem ist die Finanzprokuratur in dem Gebäude untergebracht. © Wolak, Wolfgang/Verlagsgruppe News/picturedesk.com

Hoher Bekanntheitsgrad

Nicht nur auf internationalem Parkett, auch in der österreichischen Bevölkerung ist die Volkanwaltschaft mittlerweile eine bekannte Größe. „Wir führen alle paar Jahre eine IMAS-Studie zu Image und Bekanntheitsgrad der Volksanwaltschaft durch“, heißt es dort. Laut den jüngsten Ergebnissen aus dem Frühjahr 2020 kennen drei von vier Befragten die Einrichtung, „eine Mehrheit ist auch gut über ihre Aufgaben informiert und weiß ihre Arbeit zu schätzen“. Besonders die ORF-Sendung
„Bürgeranwalt“, in der konkrete Fälle vorgestellt werden, trage zum hohen Bekanntheitsgrad bei. Jüngere Bevölkerungsgruppen und jene mit niedrigem Bildungsstand wenden sich hingegen seltener an die Ombudsleute, weil sie nicht über deren Existenz Bescheid wissen. Immer wieder werden daher Schulklassen in den Amtssitz im Wiener Palais Rottal eingeladen, vergangenes Jahr wurde ein eigenes Erklärvideo für diese Zielgruppe erstellt.

„Die erhebliche Steigerung bei den Beschwerden konnte dank dem Einsatz der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bei gleichbleibendem Personalstand bewältigt werden.“

Walter Rosenkranz

Denn auch Schülerinnen und Schüler können sich an die Volksanwaltschaft wenden: Eine Beschwerde ist jederzeit kostenlos für alle Personen möglich, die sich von einer österreichischen Behörde ungerecht behandelt fühlen – ungeachtet des Alters, der Nationalität oder des Wohnsitzes. Ausnahmen sind zum Beispiel laufende Verfahren (es sei denn, es geht um eine Beschwerde wegen einer überlangen Verfahrensdauer) sowie gerichtliche Entscheidungen. Die Zahl der Menschen, die sich von Behörden ungerecht behandelt fühlen, wächst stetig. Rechnete man bei der Gründung 1977 noch mit rund 1.500 Beschwerden pro Jahr, so wird diese Zahl mittlerweile um ein Vielfaches überschritten. Vor allem in den letzten beiden Jahren wirkte die Corona-Pandemie als Treiber, wie die jährlichen Berichte an das Parlament zeigen. 2020 wandten sich 17.900 Personen an die Volksanwaltschaft, im vergangenen Jahr waren es sogar mehr als 23.600. In der Hoffnung, dass sich das Handeln der Verwaltung verbessere, habe man 2020 einen eigenen Berichtsband zur Pandemie herausgebracht, sagt Bernhard Achitz. Nachsatz: „Der Bericht 2021 zeigt jedoch, dass das nur eingeschränkt der Fall war.“ Von einer „erheblichen Steigerung“ auch bei Beschwerden über die Bundesverwaltung sprach Walter Rosenkranz. Dennoch habe man diese bei gleichbleibendem Personalstand „dank dem Einsatz der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter“ bewältigen können.

Mehr Kompetenzen

Die Volksanwaltschaft hat seit 1. Juli 2012, also seit zehn Jahren, auch den verfassungsrechtlichen Auftrag zum Schutz der Menschenrechte. Dieser „Nationale Präventionsmechanismus“ (NPM) basiert unter anderem auf dem Fakultativprotokoll zum Übereinkommen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe (OPCAT) der Vereinten Nationen. Sieben Experten-Kommissionen der Volksanwaltschaft führen präventive Kontrollen in Einrichtungen durch, in denen Menschen angehalten werden, und begleiten Polizeieinsätze. In 63 Prozent der 570 im vergangenen Jahr durchgeführten Kontrollen beanstandeten die Kommissionen die menschenrechtliche Situation. Seit 2017 wickelt die Volksanwaltschaft einen Großteil der Anträge auf Heimopferrente für Menschen, die zwischen 1945 und 1999 in Kinder- und Jugendheimen Opfer von Gewalt wurden, ab. Für die Zukunft wünschen sich die Volksanwälte, dass ihre Prüfkompetenz auf ausgegliederte Rechtsträger – zum Beispiel Krankenhausbetreiber – ausgeweitet wird.

Angelobung. Die Volksanwälte Werner Amon, Bernhard Achitz und Walter Rosenkranz (v. l. n. r.) werden nach der Wahl durch das Parlament von Bundespräsident Alexander Van der Bellen in der Hofburg angelobt. © Neubauer Herbert/APA/picturedesk.com

„Die Volksanwaltschaft ist das Menschenrechtshaus der Republik. Neben der präventiven Kontrolle kann sich jeder Mensch bei der Volksanwaltschaft wegen Verletzung der Menschenrechte beschweren.“

Bernhard Achitz

Hilfe für Einzelpesonen

Die Dauer der Verfahren kann sehr unterschiedlich sein – manche sind innerhalb weniger Tage erledigt, andere erfordern mehrere Monate Bearbeitungszeit. Zunächst wird die betroffene Behörde von der Beschwerde informiert und um eine Stellungnahme gebeten, dann prüft die Volksanwaltschaft den Sachverhalt anhand des Gesetzes, der Materialien und der höchstgerichtlichen Rechtsprechung. Anders als ursprünglich von der Regierung Kreisky angedacht, fällt neben der gesamten Bundes- auch die Landes- und Gemeindeverwaltung in den Kompetenzbereich der Volksanwaltschaft – nur in Vorarlberg und Tirol gibt es eigene Landeseinrichtungen. Im vergangenen Jahr wurde das Corona-Management des Bildungsministeriums genauso bemängelt wie die Priorisierung bei Covid-Impfungen in der Steiermark oder die überlange Bearbeitungsdauer in Aufenthaltstitelverfahren durch die Wiener Magistratsabteilung 35. In vielen Fällen kommen die Betroffenen rasch zu ihrem Recht, wenn sich die Volksanwaltschaft einschaltet, aktuell konnte etwa in einigen Fällen doch noch die rechtmäßige Auszahlung der Familienbeihilfe erwirkt werden, eine Person bekam einen zunächst verweigerten Rehabilitationsplatz und das Justizministerium sagte Verbesserungen beim Datenschutz in den Justizanstalten zu. Manchmal kommt es hingegen über einen langen Zeitraum zu keinen Verbesserungen, weil etwa einzelne Ministerien zwar Veränderungen zusagen, diese aber nicht umsetzen. Ist es der Volksanwaltschaft also möglich, strukturelle Änderungen herbeizuführen? Oder geht es primär darum, Menschen das Ohnmachtsgefühl gegenüber staatlichen Einrichtungen zu nehmen?

Paritätisch besetzt. Die Volksanwältinnen Ingrid Korosec (ÖVP; links), Evelyn Messner (SPÖ) und der Volksanwalt Horst Schender (FPÖ) während einer Pressekonferenz 1998. © Schnarr, Ulrich/APA/picturedesk.com

Strukturelle Änderungen

Es gehe um beides, betont man in der Volksanwaltschaft: „Jeder einzelne Beschwerdefall und jeder festgestellte Missstand machen deutlich, mit welchen Problemen die Bevölkerung im Kontakt mit den Behörden konfrontiert ist und welche menschlichen Schicksale hinter den Beschwerden liegen.“ Auf der Grundlage ihrer in Prüfverfahren gesammelten Erkenntnisse sei es der Volksanwaltschaft möglich, Schwachstellen und Fehlentwicklungen in der Verwaltung zu identifizieren und aufzuzeigen. Durch ihre Anregungen an den Gesetzgeber leiste sie „einen wichtigen Beitrag zur Weiterentwicklung des Rechts und der Demokratie in Österreich“.

Prüfer-Trio. Die Volksanwälte Bernhard Achitz, Werner Amon und Walter Rosenkranz (v. l. n. r.) sind vorerst bis 30. Juni 2025 im Amt, dann können sie für eine weitere Funktionsperiode wiederbestellt werden. © Helmut Fohringer/APA/picturedesk.com

Behördenkontakt

Wer sich von einer österreichischen Behörde ungerecht behandelt fühlt – etwa wegen deren Untätigkeit, wegen „grober Unhöflichkeiten“ oder einer nicht dem Gesetz entsprechenden Rechtsansicht –, kann sich an die Volksanwaltschaft wenden.

www.volksanwaltschaft.gv.at
Nahezu die Hälfte aller Bundesbediensteten wird in den nächsten zehn Jahren in den Ruhestand treten. Wie der Umbruch bewältigt werden soll.

Zukunft. Bereits in den vergangenen Jahren war ein Anstieg der Neupensionierungen vorrangig im Exekutivdienst und beim pädagogischen Personal zu verzeichnen. GÖD-Chef Norbert Schnedl fordert daher eine umfassende Aufnahmeoffensive. © Schlosser, Johanna/picturedesk.com

Die anstehende Pensionierungswelle im öffentlichen Dienst bereitet den betroffenen Institutionen und Berufsgruppen, der Politik sowie der zuständigen Gewerkschaft Kopfzerbrechen. Denn: An sie ist unter anderem die drohende Personalknappheit gekoppelt. Wie kann dieser Problematik entgegengewirkt werden? Welche Optimierungsprozesse wurden dafür bereits eingeleitet? Und was braucht es, um die Lücken im System so rasch wie möglich zu füllen? Beim Bund geht man davon aus, dass bis 2032 rund 48 Prozent des bestehenden Personals aufgrund von Pensionierungen aus dem aktiven Dienst ausscheiden werden. Schon in den vergangenen Jahren war ein stärkerer Anstieg bei den Neupensionierungen zu verzeichnen. Besonders deutlich wurde dies im Exekutivdienst und beim pädagogischen Personal. Norbert Schnedl, Vorsitzender der Gewerkschaft Öffentlicher Dienst (GÖD), mahnt: „Die Pensionierungswelle rollt ungebrochen auf den öffentlichen Dienst zu.“ Die Folge: Besonders viele vakante Positionen müssen gleichzeitig nachbesetzt werden. Dies erfordert jedoch, dass genügend Arbeitskräfte als potenzielle Nachfolgerinnen und Nachfolger vorhanden sind. Andernfalls ist mit Personalknappheit in allen Bereichen zu rechnen. Ein Blick auf die Gesamtaltersstruktur der Bundesbediensteten zeigt nur wenig Raum für Erholung. So sind derzeit 44,8 Prozent der Bundesbediensteten über 50 Jahre alt. Der Peak der Pensionsantritte wurde jedoch bereits 2019 erreicht. Das heißt, in den kommenden Jahren ist zwar mit weiteren Austritten zu rechnen, diese nehmen aber sukzessive ab. Dennoch besteht die Gefahr, dass viel Wissen verloren geht und dadurch die Qualität des öffentlichen Dienstes insgesamt sinken könnte.

„Wenn wir für attraktive Arbeitsbedingungen sorgen, werden wir in einer Phase des demografischen Wandels auch genügend hoch qualifizierte junge Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gewinnen können.“

Norbert Schnedl, GÖD-Vorsitzender

Enormer Engpass

Auch GÖD-Vorsitzender Norbert Schnedl weist darauf hin, dass durch die große Zahl der Pensionierungen ohne eine entsprechende Aufnahmeoffensive ein enormer Personalengpass entstehen wird. Daher fordert der Gewerkschafter eine umfassende Aufnahmeoffensive, um einen möglichst lückenlosen Wissenstransfer sicherstellen zu können – in allen Bereichen des öffentlichen Dienstes. Das bedeutet laut Schnedl eine offensive Präsentation der öffentlichen Verwaltung als attraktiven Arbeitgeber. Beispiele dafür könnten die Nutzung von Jobportalen, Online-Plattformen oder Messebesuche sein. Gleichzeitig sieht er es auch als Aufgabe des öffentlichen Dienstes, attraktive Arbeitsbedingungen zu bieten: „Der öffentliche Dienst leistet einen wesentlichen Beitrag
für die hohe Lebensqualität in Österreich, und wenn wir für attraktive Arbeitsbedingungen sorgen, werden wir in einer Phase des demografischen Wandels auch genügend hoch qualifizierte junge Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gewinnen können“, sagt Schnedl.

Personalbedarf. Seinen Höhepunkt erreichte der Lehrerinnen- und Lehrermangel im Jahr 2019. © Wolfraum, Heiko/dpa/picturedesk.com

Keine Einsparungen

Christian Kemperle, Leiter der Sektion Öffentlicher Dienst und Verwaltungsinnovation im Bundesministerium für Kunst, Kultur, öffentlichen Dienst und Sport (BMKOES), verweist im Gespräch jedoch auf eine umfassendere Betrachtung: „Ja, es droht Personalknappheit“, sagt er. „Die Pensionierungswelle ist dafür aber nicht der alleinige Grund.“ Dass es wegen der Pensionsabgänge zu einem Personalmangel kommen werde, sei ein bereits länger bekanntes Problem. Daher seien auch diverse Stellenpläne bis zum Jahr 2025 fixiert worden, die sowohl freie als auch besetzte Stellen abbilden würden. reichen zu, so der Sektionsleiter. Die einzelnen Dienststellen seien demnach bereits darüber informiert, was sie zukünftig erwarte. Erforderlich sei jetzt „eine selbständige Ausarbeitung neuer Konzepte für die Nachbesetzungen“. Einsparungsvorgaben gebe es dafür nicht, so Kemperle.Diese ließen konkrete Rückschlüsse auf den Personalbedarf in den jeweiligen Bereichen zu, so der Sektionsleiter. Die einzelnen Dienststellen seien demnach bereits darüber informiert, was sie zukünftig erwarte. Erforderlich sei jetzt „eine selbständige Ausarbeitung neuer Konzepte für die Nachbesetzungen“. Einsparungsvorgaben gebe es dafür nicht, so Kemperle.

„Die Zustimmung des BMKOES muss vor einer Ausschreibung nicht mehr eingeholt werden. Die Abläufe wurden dadurch beschleunigt und Bewerbungen können deutlich rascher bearbeitet werden.“

Christian Kemperle, Leiter Sektion Öffentlicher Dienst im BMKOES

BVAEB. Die Pensionsversicherungsanstalt öffentlich Bediensteter sichert Beamtinnen und Beamte finanziell ab. Sie sind nicht pensionsversichert, sondern erhalten einen Ruhegenuss. © BVAEB

Arbeitsmarkt im Wandel

Der Sektionsleiter sieht das eigentliche Problem vielmehr im sich verändernden Arbeitsmarkt, der die Lage für den öffentlichen Dienst schwierig macht. Die Beschäftigung in der Privatwirtschaft steigt, die allgemeine Beschäftigungsquote sinkt. Außerdem ist der Einstieg in den öffentlichen Dienst wesentlich komplizierter und langwieriger als in der Privatwirtschaft. Das Ministerium setzt daher „viele kleine Schritte“, um diese Prozesse zu beschleunigen. So muss beispielsweise bei einer Ausschreibung nicht mehr vorab die Zustimmung beim BMKOES eingeholt werden. Personalstellen können eingehende Bewerbungsanfragen dadurch schneller aufnehmen und bearbeiten. Auch das Ausschreibungsrecht wurde geändert, was Erleichterungen bei der Personalsuche schafft: Anstatt der vorherigen Zweistufigkeit (erst interne, dann externe Suche) kann selbständig entschieden werden, wann und aus welchem Markt man Personal rekrutiert. Derzeit ist das BMKOES auch dabei, den Rekrutierung- und Aufnahmeprozess zu verbessern und zu digitalisieren. Hierfür ist der Einsatz von eigenen digitalen Plattformen sowie von Social-Media-Kanälen vorgesehen. Das Onboarding dazu sei „so gut wie fertig“, berichtet Kemperle. Die Testphasen laufen, die fixe Umsetzung soll spätestens im Herbst 2022 erfolgen.

„Die Pensionierungswelle rollt ungebrochen auf den öffentlichen Dienst zu.“

Norbert Schnedl, GÖD-Vorsitzender

Anreizsysteme

Was sind aber nun attraktive Arbeitsbedingungen? In welchen Bereichen muss ein Umdenken stattfinden? Der GÖDVorsitzende Norbert Schnedl nennt dabei neben der Höhe der Anfangsbezüge sowie der Karrieremöglichkeiten insbesondere auch dienstrechtliche Rahmenbedingungen, die eine vernünftige Work-Life-Balance und die optimale Vereinbarkeit von Familie und Beruf gewährleisten. Dazu zählt er etwa eine vorteilhaftere Anrechnung von Kindererziehungszeiten, eine Verbesserung bei der Pflegefreistellung sowie eine Valorisierung aller Familienleistungen. Gleichzeitig bedürfe es Anreizen für die Übernahme von Familienarbeit durch Männer. Daneben würden aber auch die Verbesserung des Arbeitnehmerschutzes sowie ein Ausbau der Gesundheitsprävention am Arbeitsplatz benötigt, so Schnedl. Außerdem ist es laut dem Gewerkschafter wichtig, alternsgerechte Arbeitsplätze und flexible Arbeitszeitmodelle für ältere Bedienstete zu schaffen, um der demografischen Entwicklung in Österreich Rechnung zu tragen. „In puncto Arbeitszeit sind wir sehr flexibel, allein schon aus der Tatsache heraus, dass im öffentlichen Dienst ein tägliches Arbeitspensum von 13 Stunden möglich ist“, betont Christian Kemperle. Das erlaube Variationen von Teilzeit- und Gleitzeitmodellen sowie flexible Abmachungen. Auch Telearbeit sei „heutzutage, insbesondere nach der Corona-Pandemie, kein Problem mehr“, so der Sektionsleiter.

Exekutive. Auch die Polizei wurde bereits von der Pensionierungswelle eingeholt. Um eine Nachbesetzung der vakanten Positionen zu erreichen, sollen neue Konzepte ausgearbeitet werden. © Hochmuth, Georg/APA/picturedesk.com

Mobilität und Offenheit

Woran aber noch mehr gearbeitet werden muss, sind laut Kemperle die Themen Personalentwicklung und interner Austausch. Die Generation, die heute in den Beruf einsteigt, hat andere Erwartungen an den Arbeitsmarkt: Oft ist seitens der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ein Wechsel schon nach circa fünf Jahren erwünscht. Man möchte sich weiterentwickeln, neue Bereiche erkunden. Mobilität und Offenheit für diverse Bereiche sei durch dieses Verhalten erkennbar; dies gelte es in weiterer Folge „für uns zu nutzen“, meint der Sektionsleiter. Ein Projekt, das den Austausch innerhalb des Bundesdienstes fördern soll, wurde bereits gestartet. Das Ziel: Weg vom beschränkten Ressortdenken, hin zur umfangreichen Gesamtpräsentation des Bundesdienstes. Vorhandene Personalressourcen sollen durch interne Weiterbildungsprogramme besser genutzt, ein Wechsel in andere Berufsgruppen des Bundesdienstes ermöglicht werden. Das solle einerseits den Erhalt der Bediensteten im System sowie eine raschere Nachbesetzung sichern; zum anderen wolle man damit den Ansprüchen der zukünftigen Generation gerecht werden, so Kemperle.

Pensionsantritt berechnen

Website des BMKOES können Interessierte den möglichen Zeitpunkt für den Eintritt in den Ruhestand berechnen lassen. Dort gibt es auch weiterführende Informationen zum Thema.

www.oeffentlicherdienst.gv.at
Das internationale Artenschutzabkommen CITES regelt den Handel mit geschützten Tier- und Pflanzenarten sowie deren Produkten. Ein komplexes internationales Netzwerk sorgt für die Einhaltung der Vorgaben und damit für den Erhalt gefährdeter Arten.

Wer beim Thema Artenschutz an Elfenbein, Tigerfelle und Krokodilleder denkt, hat die Spitze des Eisbergs noch kaum angekratzt, denn insgesamt sind über 38.000 Arten von CITES erfasst. Etwa 6.000 davon sind Tiere, der Rest Pflanzen. Zudem gilt das Abkommen auch für verarbeitete Waren, wie beispielsweise Musikinstrumente mit Elementen tierischen oder pflanzlichen Ursprungs, Schmuck, Bestandteile von Nahrungsergänzungsmitteln oder Kosmetika. Drei Stufen des internationalen Abkommens regeln, unter welchen Bedingungen eine geschützte Art Staatsgrenzen überqueren beziehungsweise gehandelt werden darf.

Geschulte Augen. Im Jahr 2021 wurden 2.600 geschützte Tiere und Pflanzen von Österreichs Zollbeamten beschlagnahmt. © BMF/Wenzel

Nachhaltige Expansion

CITES („Convention on International Trade in Endangered Species of Wild Fauna and Flora“, also „Übereinkommen über den internationalen Handel mit gefährdeten Arten freilebender Tiere und Pflanzen“) wurde 1973 in Washington ins Leben gerufen und zählte damals fünf Unterzeichner: USA, Nigeria, die Schweiz, Tunesien und Schweden. Mittlerweile haben 184 Länder die Konvention unterzeichnet, Andorra als jüngstes Mitglied im November 2021. Österreich ist seit 1982 dabei.

„Es gibt Routen, die man besonders im Blick behalten muss, etwa Direktflüge aus Gebieten, wo geschützte Arten vorkommen.“

Gerhard Marosi, Mitarbeiter im Finanzministerium

„Es ist ein komplexes Thema, das sich auch laufend weiterentwickelt“, erzählt Martin Rose, der im Bundesministerium für Klimaschutz und Umwelt für die nationale und internationale Koordination von CITES zuständig ist: „In Österreich arbeiten Umweltministerium, Zollbehörden und das Bundeskriminalamt zusammen, dazu kommen Experten aus den Bundesländern und wissenschaftliche Berater. Auf europäischer Ebene gibt es ebenfalls Ausschüsse, die sich mit dem Artenschutz beschäftigen, denn in der EU werden die Bestimmungen noch strenger gehandhabt als von CITES vorgegeben. International findet alle drei Jahre die CITES-Vertragsstaatenkonferenz statt. Dort geht es vor allem um Änderungen und Neuaufnahmen in die Anhänge.”

Illegalen Importen auf der Spur

Die österreichischen Zollbeamten sind in Sachen Artenschutz gut geschult. 2021 wurden insgesamt 2.600 Tiere und Pflanzen beschlagnahmt, die unter dem strengen Schutz des CITES-Abkommens stehen. Gerhard Marosi vom Bundesministerium für Finanzen kennt die Wege und Tricks der Schmuggler: „Es gibt bestimmte Routen, die man besonders im Blick behalten muss, etwa Direktflüge aus Gebieten, wo geschützte Arten vorkommen. Wir konzentrieren uns natürlich besonders auf gewerbsmäßige Schmuggler.“ Anders als bei Ermittlungen zu Sachwerten wie Leder, Elfenbein oder Tropenholz ist bei der versuchten Einfuhr von lebenden Tieren Eile geboten. Die Schmuggler nehmen dabei keinerlei Rücksicht auf das Tierwohl oder veterinärmedizinische Vorgaben.

Tupperdose. Da Schmuggler keine Rücksicht auf das Tierwohl oder veterinärmedizinische Vorgaben nehmen, ist bei der Einfuhr von lebenden Tieren Eile geboten. © BMF/Zoll

„Immer wieder finden wir Tiere, die in großer Zahl in Koffern über die Grenze gebracht werden, wie Schlangen, die in Socken transportiert werden“, erzählt Marosi, „besonders brisant war ein Fall, bei dem sich in einem Koffer zahlreiche Papageien in Klopapierrollen befanden. Ein Teil der Vögel war bereits tot, bei den restlichen wurde durch den Veterinär die Vogelgrippe festgestellt.“ Werden Lebendtiere gefunden, ist immer zuerst eine tierärztliche Untersuchung nötig, um zu verhindern, dass Krankheiten eingeschleppt werden. Danach werden die Tiere in Zoos oder Zuchtanlagen gebracht, die mit den Behörden zusammenarbeiten. Das kann manchmal sehr aufwendig sein – so musste etwa der Tiergarten Schönbrunn eigene Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter abstellen, als am Flughafen Wien eine große Zahl Vogeleier beschlagnahmt wurde, die dem Tiergarten übergeben und dort unter Quarantänebedingungen ausgebrütet wurden.

„Je nach Region und deren Besonderheiten bilden sich unterschiedliche Schwerpunkte heraus.“

Martin Rose, CITES-Koordinator im BMK

Auch bei Produkten setzt der Zoll auf die Zusammenarbeit mit Expertinnen und Experten. Eine Anlaufstelle dafür ist etwa das Naturhistorische Museum in Wien. „Die wissenschaftlichen Mitarbeiter überprüfen im Bedarfsfall für uns Exponate. Beschlagnahmte Ware wird aber auch für wissenschaftliche Arbeit und für Ausstellungszwecke an das Museum übergeben“, erklärt Gerhard Marosi. Die Sachverhalte sind mitunter kompliziert. So sorgte 2014 ein Fall in Kärnten für Aufsehen, als ein Schweizer Händler bei einem Harley-Davidson-Treffen 831 Stück verschiedene Lederwaren an seinem Stand zum Verkauf angeboten hatte. Eine Einfuhrgenehmigung gab es nicht für alle Exponate, zudem wurden Waren verkauft, die als Ausstellungsstücke deklariert waren. „In so einem Fall muss jedes einzelne Stück auf seine Legalität überprüft werden“, so Marosi, „das braucht nicht nur Zeit, sondern eben auch viel Expertise.“

Schwerpunkt-Länder. In ganz Europa und damit auch in Österreich ist die Nachfrage nach exotischen Haustieren besonders hoch. © BMF/Zoll

Weltweite Kontrollen

Seit 2017 findet regelmäßig die „Operation Thunder“ statt, bei der Interpol und die Weltzollorganisation in Zusammenarbeit mit dem CITES-Komitee einen Monat lang weltweite Schwerpunktkontrollen zu Verstößen gegen das Artenschutzabkommen durchführen. Die Ergebnisse zeigen, dass das Geschäft mit bedrohten Arten trotz aller Bemühungen noch immer blüht. Im vergangenen Oktober wurden im Rahmen von „Thunder 2021“ fast eine Tonne Elfenbein und Elfenbeinprodukte, 75 Tonnen geschützte Tropenhölzer und 29 Großkatzen beschlagnahmt, dazu kamen zahlreiche Vögel, Schildkröten und weitere Reptilien. „Je nach Region und deren Besonderheiten bilden sich unterschiedliche Schwerpunkte heraus. In Italien und Frankreich sind wegen der Modeindustrie Lederprodukte besonders wichtig, in der Schweiz sind es Rohstoffe für Nahrungsergänzungsmittel. In ganz Europa und damit auch in Österreich ist die Nachfrage nach exotischen Haustieren besonders hoch“, erklärt Martin Rose, „das können etwa Vögel oder Reptilien sein.“

„Es werden immer mehr Arten gelistet, weil die Situation für viele Arten weltweit schlimmer wird. “

Martin Rose, CITES-Koordinator im BMK

Abhängig von der Schutzklasse des Tieres ist eine Einfuhr für private Zwecke entweder generell verboten oder nur mit besonderer Genehmigung möglich. Die Anträge werden im Umweltministerium geprüft. Auch die Ausfuhr geschützter Tierarten muss genehmigt werden. In Österreich kommt das regelmäßig bei bestimmten Falkenarten vor. „Durch die heimische Falknertradition sind Vögel aus österreichischer Zucht im Nahen Osten gefragt, wo die Vögel nicht nur zur Jagd, sondern auch als Prestigeobjekte gehalten werden“, weiß Rose. „Das sind natürlich keine Wildentnahmen, aber es muss der Nachweis erbracht werden, dass sie aus einem Zuchtbetrieb stammen.“

Kroko-Stiefel. Vom Zoll aufgegriffene Produkte werden an das Naturhistorische Museum in Wien übergeben. Finanzminister Magnus Brunner und NHM-Generaldirektorin Katrin Vohland mit Fundstücken der Zollbeamten. © BMF/Wenzel

Zwar ist es durchaus möglich, dass geschützte Arten auch wieder von der Liste entfernt werden, wenn sich die Population erholt, sehr viel häufiger sind aber Neuaufnahmen. Martin Rose betrachtet die internationale Entwicklung: Es werden immer mehr Arten gelistet, weil die Situation für viele Arten weltweit schlimmer wird. Zudem werden die Bestimmungen immer präziser, wenn der Interpretationsspielraum zu viele Schlupflöcher ermöglicht.“ Nicht alle Länder zeigen den gleichen Einsatz, doch in den EU-Mitgliedstaaten besteht generell ein hohes Maß an Zustimmung, wie auch eine enge Zusammenarbeit bei der Umsetzung des Artenschutzabkommens. „Österreich ist sehr engagiert, auch wenn wir aufgrund unserer Größe nicht die Möglichkeit haben, in jeder Arbeitsgruppe dabei zu sein“, betont Martin Rose: „Wir konzentrieren uns auf gewisse Schwerpunktthemen, die uns besonders betreffen.“

Jürgen Schneider ist Leiter der Sektion VI – „Klima und Energie“ im Bundesministerium für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie (BMK). Im Interview spricht er über die „Mammutaufgabe” Klimaschutz sowie lebenslanges Lernen in der Verwaltung und erklärt, warum die Klimakrise unseren Wohlstand bedroht.

Als Sektionschef im BMK sind Sie zuständig für die wichtigen Themenbereiche Klima und Energie. Österreichs Klimapolitik ist ambitioniert: Das Ziel ist, bis 2040 klimaneutral zu sein. Welche Rolle spielt die Energiewende beim Klimaschutz?
Eine ganz zentrale! Österreich hat sich vorgenommen, bis 2040 klimaneutral zu sein, also netto keine Treibhausgase freizusetzen. Das ist unser angemessener und notwendiger Beitrag zur Bewältigung der globalen Klimakrise. Die mit Abstand wichtigste Quelle von Treibhausgasemissionen ist derzeit weltweit und auch in Österreich die Nutzung fossiler Energieträger, also von Erdölprodukten, fossilem Erdgas und Kohle. Von diesen müssen wir in den nächsten beiden Jahrzehnten wegkommen. Energiewende bedeutet also, dass unser Energiesystem deutlich effizienter und fossile Energie durch erneuerbare Energieträger ersetzt wird. Und dieser Übergang muss ökonomisch erfolgreich und sozial verträglich gestaltet werden. Dass das eine Mammutaufgabe ist, sieht man auch daran, dass derzeit rund zwei Drittel der in Österreich verbrauchten Energie fossilen Ursprungs ist.

Klima-Chef. Jürgen Schneider verfügt über viel Erfahrung und war bereits in den vergangenen Jahren Sektionsleiter im Klimaschutzministerium. © WZMG/Franziska Liehl

Verfolgt man die Nachrichten und die Berichte über Dürre, Gletscherschmelze und Überschwemmungen, weiß man: Die Zeit für wirksamen Klimaschutz drängt. Welche Transformationen für den Klimaschutz sind ein Schlüssel zur Lösung?
Der Umbau des Energiesystems in Richtung Nachhaltigkeit ist eine große, systemische Herausforderung, die unser ganzes Wirtschafts- und Gesellschaftssystem tangiert. Betroffen sind vor allem die Sektoren Energie und Gebäude, unser Verkehrssystem und die produzierende Industrie. Dies wiederum betrifft die Lebensbereiche Wohnen, Mobilität, Arbeit und Konsum und damit alle Menschen in Österreich. Für all diese Bereiche entwickeln wir Lösungen. Und: Österreich ist in Energiefragen keine Insel, sondern wir arbeiten eng mit unseren europäischen Partnern zusammen, um die Energiewende gemeinsam zu stemmen. Europa hat sich ja dazu verpflichtet, 2050 der erste klimaneutrale Kontinent zu sein.

„Energiewende bedeutet, dass unser Energiesystem deutlich effizienter und fossile Energie durch erneuerbare Energieträger ersetzt wird.“

Der Sektor Energie und Industrie war im Jahr 2019 in Österreich laut Umweltbundesamt der größte Treibhausgasemittent. Die Treibhausgasemissionen sind im Vergleich zu 2018 um 1,5 Prozent gestiegen. Gründe dafür waren unter anderem die höhere Stromproduktion in Erdgaskraftwerken und der vermehrte Einsatz fossiler Energieträger im Gebäudesektor. Wie wird dieser Entwicklung konkret begegnet?
Bei der Stromerzeugung haben wir ein sehr ambitioniertes Ziel: Bereits 2030 sollen in Österreich 100 Prozent des verbrauchten Stroms aus erneuerbarer Energie kommen. Dazu haben wir gerade mit dem umfangreichsten Energie-Gesetzespaket der letzten Jahre – dem Erneuerbaren-Ausbau-Gesetz – die rechtlichen Voraussetzungen geschaffen. Das Paket wird zudem Investitionen im zweistelligen Milliarden-Euro-Bereich bringen, also auch Beschäftigung und regionale Wertschöpfung. Im Gebäudesektor erarbeiten wir gemeinsam mit den Bundesländern und dem Finanzministerium eine Wärmestrategie, die zeigen wird, wie wir bis 2040 unsere Gebäude ohne fossile Energie heizen werden. Denn Ölheizungen und Heizungen mit Erdgas sind keine zukunftsfähigen Technologien des 21. Jahrhunderts und sollten bald der Vergangenheit angehören. Es gibt schon jetzt beim Umstieg auf klimafreundliche Heizsysteme großzügige öffentliche Förderungen für den Kesseltausch. Ergänzt werden sollen diese durch ordnungsrechtliche Vorgaben im Erneuerbaren-Wärmegesetz.

3 Fragen 3 Antworten

Ihr Tipp an alle, die zur Klimaneutralität beitragen wollen?
Es gibt einfache Dinge, die man machen kann. Zum Beispiel im Bereich Mobilität aufs Auto verzichten und mit dem Rad fahren. Das ist gesünder, oft schneller, klimafreundlicher und billiger, als mit dem eigenen Pkw zu fahren.

Welches Buch lesen Sie gerade?
„Mission Economy“ von Mariana Mazzucato

Fahrrad, Auto, Bahn oder E-Scooter – welches Fortbewegungsmittel bevorzugen Sie?
Das Fahrrad!

Grüne Investitionen. Das Gesetzespaket zum Ausbau der erneuerbaren Energie in Österreich, das Erneuerbaren-Ausbau-Gesetz, kann ein Turbo für die Energiewende sein, ist Jürgen Schneider überzeugt. © WZMG/Franziska Liehl

Seit Juni 2021 sind Sie Chef der Sektion VI im BMK, waren zuvor der interimistische Leiter und haben davor auch die Sektion „Klima“ im vormaligen Nachhaltigkeitsministerium angeführt. Was war für Sie persönlich die größte Umstellung beim Wechsel der Sektion in ein neues Ministerium?
Die größte Änderung war wohl die neue Zusammensetzung der Sektion durch Verschmelzung der Klima- und Energieagenden. Wir haben dazu einen eigenen Prozess mit externer Begleitung gemacht, der jetzt – aus meiner Sicht erfolgreich – abgeschlossen wurde.

Sie gelten schon lange als ausgewiesener Umweltexperte und sind ausgebildeter Biochemiker. Wie erleben Sie die Arbeit in der Verwaltung und welche Fähigkeiten mussten Sie sich aneignen?
Von der universitären Ausbildung her bin ich Naturwissenschafter. Das hilft sehr, komplexe Zusammenhänge zu verstehen und Lösungen zu entwickeln. Klar ist aber auch, dass für mich tatsächlich das Schlagwort des lebenslangen Lernens gilt. Ich habe auf der Verwaltungsakademie viel gelernt, diverse Lehrgänge etwa zu Führung und Projektmanagement gemacht und viele Fähigkeiten durch Learning by Doing erworben. Da hilft mir sicher meine Neugier und die Bereitschaft, mich auf Neues einzulassen und auch Feedback von Dritten aufzunehmen.

„Die wirkliche Bedrohung unseres Wohlstands, ja unserer Lebensgrundlage, ist die Klimakrise, die wir entschieden bekämpfen müssen.“

In Debatten ums Klima wird oft über Verzicht, etwa beim Thema Verkehr oder beim Fleischkonsum, beziehungsweise höhere Kosten – Stichwort CO2-Bepreisung – gesprochen. Wie kann man Bürgerinnen und Bürger positiv motivieren? Und welche Rolle spielt der Beitrag der Bevölkerung zum Klimaschutz im Vergleich zum Beitrag der Wirtschaft?
Wir wollen auf unserem Weg zur Klimaneutralität alle Bürgerinnen und Bürger mitnehmen, ebenso wie alle Unternehmen. Dafür müssen wir zunächst gut erklären, warum das notwendig ist. Die wirkliche Bedrohung unseres Wohlstands, ja unserer Lebensgrundlage, ist die Klimakrise, die wir entschieden bekämpfen müssen. Nur so können wir unser Land lebenswert erhalten. Dafür müssen wir aber auch den passenden Rahmen schaffen. Daher wollen wir einerseits klimafreundliches Verhalten und Wirtschaften attraktiver machen und andererseits Anreize setzen, einen klimaschädlichen Lebensstil zu ändern. Ein wichtiger Baustein dafür ist die ökosoziale Steuerreform, die den Einsatz fossiler Energie – also im Wesentlichen Benzin, Diesel, Heizöl und Erdgas – durch die Einführung einer CO2-Bepreisung teurer macht, aber insgesamt zu einer Entlastung der Bevölkerung führt. Zudem bieten wir attraktive Alternativen an: Die Umstellung auf klimafreundliche Heizsysteme wird unterstützt, ebenso die Nutzung von öffentlichem Verkehr oder der Umstieg auf E-Mobilität, da ja viele Menschen nach wie vor auf ein eigenes Auto angewiesen sind. Mit dem Klimarat, der im Jänner 2022 begonnen hat, ersuchen wir zudem 100 Bürgerinnen und Bürger, selber Lösungen zur Bewältigung der Klimakrise zu entwickeln. Wir sind schon sehr gespannt auf die Ergebnisse, die Mitte 2022 vorliegen sollen.

Zur Person

Jürgen Schneider hat an der Universität Wien Chemie studiert und dort promoviert. Ab 1994 arbeitete er im Umweltbundesamt in der damaligen Abteilung für Lufthygiene. Von 2002 bis 2004 war Schneider als Projektmanager bei der Weltgesundheitsorganisation (WHO) in Bonn tätig. Zurück am Umweltbundesamt, leitete er von 2004 bis 2006 die Abteilung für Lufthygiene, von 2007 bis 2014 den Bereich Wirtschaft und Wirkung. Ab 2011 war er Prokurist im Umweltbundesamt, ehe er 2018 als Sektionschef ins Bundesministerium für Nachhaltigkeit und Tourismus wechselte.

Die Klimakrise und damit auch Klimakatastrophen sind Ihre tägliche Arbeit – und gerade beim Verbot des Einbaus von Ölheizungen in Neubauten sieht man, dass Diskussionen oft lange dauern, bevor etwas beschlossen wird. Verlieren Sie manchmal die Geduld, und wie sehen Ihre Erfolgserlebnisse aus?
Die Klimakrise zu bekämpfen ist ein Bohren dicker Bretter, da es ja um nicht weniger als die Transformation der Wirtschaft und Gesellschaft in Richtung Klimaneutralität geht. Angesichts der Bedrohungen durch die Klimakrise waren wir bisher mit unseren Klimaschutzbestrebungen zu langsam. Aber gerade in letzter Zeit gibt es auch schöne Erfolge. Das Erneuerbaren-Ausbau-Gesetz wurde beschlossen, ebenso die ökosoziale Steuerreform. Es gibt ein Klimaticket und zudem ein so attraktives Förderangebot für klimafreundliche Investitionen wie noch nie. Und trotz mancher Rückschläge schöpfen meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und ich Motivation aus der Gewissheit, dass Klimaschutz eine zentrale Menschheitsaufgabe ist.

Im Vorjahr fand die Weltklimakonferenz in Glasgow statt, es ging um die Umsetzung des Pariser Klimaabkommens von 2015. Die Ergebnisse wurden kontrovers diskutiert. Sind Sie nach der Konferenz zuversichtlicher, dass die Klimawende gelingt?
Die Klimakrise ist eine globale Krise, die nur gemeinsam gelöst werden kann. Daher sind die Weltklimakonferenzen auch so wichtig, bei der alle Staaten der Welt um einen Tisch sitzen. Im Grunde besteht große Einigkeit, dass das Pariser 1,5-Grad-Celsius-Ziel unbedingt eingehalten werden soll und dafür mehr Anstrengungen notwendig sind. Es ist gut, dass auf der Konferenz wichtige Beschlüsse gefasst wurden; so wurde etwa das Regelwerk zur Umsetzung des Pariser Übereinkommens endlich finalisiert. Aber natürlich hätten wir uns mehr Dynamik und weitergehende Beschlüsse gewünscht. Also heißt es weiterarbeiten, globale Partnerschaften knüpfen und auch Entwicklungs- und Schwellenländer bei ihren Maßnahmen zur Anpassung an den Klimawandel und zum Klimaschutz unterstützen.

„Trotz mancher Rückschläge schöpfen meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und ich Motivation aus der Gewissheit, dass Klimaschutz eine zentrale Menschheitsaufgabe ist.“

Zusammenarbeit. Als Klimaschutzexperte nimmt Jürgen Schneider regelmäßig an Veranstaltungen wie etwa den UN-Klimakonferenzen teil. Denn die Klimakrise kann nur gemeinsam gelöst werden, betont der Sektionschef. © WZMG/Franziska Liehl

Beim Europäischen Forum Alpbach 2022 werden Klima und Klimapolitik erneut im Zentrum der Diskussionen stehen. Welche Rolle spielen solche Konferenzen für die öffentliche Wahrnehmung dieses Themas, das für unsere Zukunft so wichtig ist?
Der Umbau unseres Energiesystems inklusive der Bereiche Strom, Wärme, Industrieproduktion und Mobilität in Richtung 100 Prozent erneuerbare Energie ist eine Aufgabe, die der Mitarbeit vieler Stakeholder bedarf. Wir brauchen einen breiten Diskurs über
die besten Lösungen, die ökonomisch sinnvoll und sozial verträglich sind, weil es ja auch uns alle betrifft. Das Europäische Forum Alpbach, aber auch andere Konferenzen bieten dafür den notwendigen Raum, und das ist gut so.

Klimaneutralität

Österreich hat es sich zum Ziel gesetzt, bis spätestens 2040 klimaneutral zu sein. Zu den dafür geplanten Maßnahmen zählen unter anderem die ökosoziale Steuerreform sowie das Klimaticket.

www.bmk.gv.at